Celle und Bauhaus? Hätte ich nie miteinander in Verbindung gebracht. Bei Celle denke ich eher an Fachwerkhäuser oder TuS Celle FC, den Verein in den schönsten Farben der Welt, der unserer Eintracht in früheren Zeiten öfter über den Weg gelaufen ist. Mittlerweile kicken sie in der Kreisliga. Aber Bauhaus? Nee. Dennoch – Celle ist durchaus ein Bauhaus-Hotspot.
Otto Haesler bringt den Bauhaus-Gedanken nach Celle. Er gilt neben Walter Gropius und Hannes Meyer zu den Pionieren des Neuen Bauens bzw. der Bauhaus-Architektur, so lese ich. Auch das ist neu. Gropius und Meyer hatte ich auf dem Schirm – aber Haesler?
Haesler hinterlässt viele Spuren in Celle, mein Interesse gilt halt nur seinen Bauhaus-Spuren. Auch bei ihm ist der Ansatz ganzheitlich, die Wohnungen müssen den Bedürfnissen der Bewohner folgen und gleichzeitig bezahlbar sein. Dem rationalen, reproduzierbaren und damit kostensparenden Bauen verhilft die Bauhaus-Idee zum Durchbruch. Der Siedlungsbau wird neu, technisch organisiert, die Produktionsabläufe strikt rationalisiert, z.B. werden Schienentrassen für Baumaschinen angelegt oder Betonteile direkt vor Ort gefertigt. Die Bauhaus-Idee ist auch: Architektur für die Massen wie vom Fließband.
Zudem geht es auch um die Formensprache, um die Ästhetik. Wobei Ästhetik hier vor allem heißt: klare Linien, klare Kanten, viel Glas – eine moderne, sachliche Formensprache.
Gerade in der Weimarer Republik wird massenhaft menschenwürdiger Wohnraum gebraucht. Mit der Industrialisierung setzt eine massive Landflucht ein, die Städte wachsen rasant, die Infrastruktur kommt nicht hinterher, während der Inflation von 1923 werden reihenweise Bauprojekte ad acta gelegt, das Wohnungselend steigt. In Berlin z.B. ist jede zehnte Wohnung eine Kellerwohnung, gerade in sozial schwachen Familien ist ein eigenes Bett nicht die Regel, viele Wohnungen haben weder WC noch Bad, manchmal nicht einmal fließendes Wasser. Katastrophale hygienische Zustände, Krankheiten und TBC sind die Folge. Der Bau von Millionen Sozialwohnungen ist also auch eine hygienische Aufgabe. Verschiedene Maßnahmen, u.a. die Lockerung baupolizeilicher Anforderungen und Vorschriften befeuern die Bauhaus-Projekte oder die Projekte des „Neuen Bauens“. Das verbindet sich mit den Maßnahmen der Architekten selber. Experimentierfreudig sind sie und neue Wege gehen sie.
Man mag das Bauhaus lediglich als Antwort auf die Wohnungsnot gerade am Anfang der Weimarer Republik sehen nach dem I. WK, aber es ist eben mehr, viel mehr. Eine neue Architekturschule. Sie wird den Wohnungsbau revolutionieren, sie wird die Architektur revolutionieren, sie wird den Blick auf die Architektur revolutionieren. Und letztlich wird sie die Welt revolutionieren. Also mindestens die Architekturwelt:-). Licht, Luft und Sonne anstatt der Mietskasernen. Von Bauhaus-Möbeln will ich hier jetzt gar nicht anfangen.
Blumläger Feld und Haesler Museum
Ich starte meine Tour mit Haeslers drittem Wohnprojekt für Celle, 1930/31 realisiert, weil hier das Museum steht. Nicht alles ist in Coronazeiten zugänglich, die Musterwohnung z.B. ist nicht zugänglich. Dafür aber immerhin die Ausstellung und vor allem das Wasch-, Bade und Heizhaus von 1931. Heute haben wir standardmäßig Dusche oder Badewanne in unseren Wohnungen, seinerzeit keine Selbstverständlichkeit. Schon gar nicht im Blumläger Feld. Rationelles Bauen und standardisierte Grundrisse lassen kostengünstige Kleinstwohnungen für die ärmere Bevölkerung entstehen. Die Wohnflächenminimierung und Kosteneinsparungen stehen durchaus in der Kritik, andererseits hilft die Siedlung mit 158 Kleinstwohnungen, die Wohnungsnot zu lindern. Immerhin haben die Wohnungen kleine Einbauküchen, Waschbecken, Toiletten und vor allem 130-m2-Gärten.
Samstag ist Badetag, im Waschhaus können drei freistehende Wannen und vier Duschen für jeweils 30 bzw. 20 min reserviert werden.
Nicht alles ist erhalten und viele der Wohnungen bedürfen der Beobachtung und Renovierung wegen Korrosionsschäden an der Stahlskelettkonstruktion. Heute ist ja z.B. Bewehrungsstahl eher eine Selbstverständlichkeit, seinerzeit ist Stahl im Wohnungsbau noch ein Experiment.
Georgsgarten
Etwas früher, 1925-27, entsteht die Siedlung Georgsgarten. Auch hier geht es um optimale Flächenausnutzung, bezahlbaren Wohnraum und hohen Komfort. Der erste Zeilenbau der Weimarer Republik entsteht. Sechs Wohnblöcke entstehen, 158 Wohnungen. Auch diese Wohnungen werden aus Kostengründen lediglich mit Waschbecken und Toilette ausgestattet, aber auch hier wird an Gemeinschaftsanlagen gedacht. Gemeinschaftsanlagen mit Wasch- und Badeanlagen, Heizungsanlagen, Läden usw.
Altstädter Schule + Rektorenwohnhaus
Voller Erstaunen zitiere ich Bauhaus.celle-tourismus.de: „Die ‚Glasschule‘ zählt international zu den zehn wichtigsten Bauwerken des Bauhausstils und ist das wohl bekannteste Werk otto haeslers. Gleich nach der Einweihung des Gebäudes am 18. Mai 1928 wirkte die nationale und internationale Berichterstattung wie ein Magnet auf Architekten, Politiker und Schulfachleute aus aller Welt.“ Ist mir völlig neu.
Das Rektorenwohnhaus gehört zum Gesamtensemble, alles insgesamt ästhetisch sehr überzeugend. Hier kommen besonders die Glasfassaden und die verborgenen, gleichsam zurückgesetzten Gebäudestützen zum Tragen.
Direktorenvilla
1930/31 wird es gebaut für den Direktor des gegenüberliegenden Gymnasiums Ernestinum. Auch hier wird die Stahlskelettbauweise angewendet. Auch hier viel Glas und viel Licht. Seit 2006 ist es Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst.
Italienischer Garten
Farbenfrohe, moderne, positive Kubistik. So wirkt diese kleine, markante Siedlung von 1924/25 auf mich. Auch das ist Bauhaus bzw. das Neue Bauen. Es ist ja nicht so, dass ich nur diese Bauhaus-Kubistik mag und abfeiere, den verspielten Jungendstil z.B. mag ich ja genauso und was es da noch so gibt in der Architektur-Geschichts-Welt. Aber was soll ich sagen, Bauhaus finde ich schon cool:-).
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