SANKT PETERSBURG – Mai : 2019

Über 30 Jahre ist es her, dass ich in Sankt Petersburg war. Damals hieß es noch Leningrad und ohnehin war eine andere Zeit.

Prominente Begleitung für das verlängerte Himmelfahrt-Wochenende habe ich mit Mutti, deren letzter Leningrad-Besuch ähnlich lange zurückliegt. Wir sind also gespannt, vieles dürfte sich verändert haben, nicht nur politisch.

Wir mieten eine Wohnung in unmittelbarer Nähe zum Newski Prospekt und der Anitschkow-Brücke, ein kleiner Supermarkt ist in der Nähe und verschiedene Restaurants – u.a. auch georgische, wie wir sehr erfreut am ersten Abend feststellen.

Und so genießen wir Badridschani – diese leckeren Auberginen, gefüllt und veredelt mit der typischen Walnusspaste, Chinkali – georgische Teigtaschen, lecker gefüllt und gewürzt, Chatschapuri – der meist zu einem Schiffchen geformte Teig, üppig gefüllt mit Käse – oft genug garniert mit einem Ei und natürlich Tschatscha – diesen einzigartigen Tresterwodka. Zeit für die russische Küche bleibt schließlich noch genug.

Zuvor aber führt uns der Weg nach Ankunft und Einchecken zum prächtigen Newski Prospekt und entlang der Kasaner Kathedrale Richtung Schlossplatz. Gostiny Dwor, zahlreiche Kaffees und Restaurants, kleinere und größere Geschäfte und natürlich Paläste und Kirchen – auf 4,5 Kilometern ist eine Menge geboten.

Den schönsten Zugang zum Schlossplatz hat man durch den Torbogen des Generalstabsgebäudes aus dem 19. Jhdt. So öffnet sich erst Schritt für Schritt, dann allmählich und zum Schluss mit voller Wucht die ganze Pracht dieses gewaltigen Platzes. Dominiert wird er – na klar – vom Winterpalais, der barock-mondänen Zarenresidenz. Das Zentrum beherrscht die Alexandersäule, erreichtet zu Ehren des Zaren Alexander I. und zum Gedenken an den Sieg über Napoleon 1812. Und dann noch das im Halbkreis angeordnete Generalstabsgebäude. Definitiv auch ein Platz für einen täglichen Besuch, wir hatten das ja gerade erst im Iran.

Wenig entfernt bietet dann die Schlossbrücke ein herausragendes Panorama mit Eremitage, Newa, Peter-und-Pauls-Festung und der Ostspitze der Wassiljewski-Insel mit Rostra-Säule.

Fehlen für einen ersten Rundgang noch der Eherne Reiter, welcher natürlich kein Geringerer ist als Zar Peter der Große, der dort seit 1782 steht, und vor allem die Isaakskathedrale. Gülden und erhaben steht sie am Alexanderpark. Die Rotunde lässt sich erklettern und so ergibt sich noch ein prächtiger Blick über die Dächer von Sankt Petersburg.

Erhaben und gülden ist indes so vieles in dieser grandiosen Stadt, tief eingegraben in das Stadtbild haben sich Zarenprunk und Zarengold. Das ultimative Prunkerlebnis haben wir auf den zweiten Tag gelegt. Sankt Petersburg besuchen, ohne die Eremitage zu sehen – unmöglich.

Karten lassen sich unkompliziert an den Ticketautomaten ziehen, die direkt nach dem Eingang zum Winterpalais stehen. Warum dann noch so viele anstehen, erschließt sich mir nicht, ist aber auch egal, wir haben die Tickets und werden nach kurzem Anstehen umgehend von der repräsentativen, unfassbar reich ornamentierten und vergoldeten Jordantreppe in ihren Bann gezogen. Feinster Carrara-Marmor, reiche Goldverzierungen, edle Granitsäulen – ein rauschhafter Traum.

Wahrscheinlich bräuchte man drei volle Tage, um all die Gemälde und Skulpturen halbwegs erfassen zu können. Dazu kommen die überreich ausgestatteten Säle – der Thronsaal, der Goldene Saal, der Malachitsaal, weitere Säle. Wo schaut man zuerst hin? Auf die Ausstattung? Auf die Ornamente? Auf das Farbspiel? Es ist unmöglich, die Farben vollständig zu erfassen, die Verzierungen zu erfassen, den Reichtum zu erfassen. Überwältigend, unglaublich, unfassbar – der ganze Prunk des Zarenreiches entfaltet sich in den Räumen der Eremitage.

Den einen herausragenden Saal gibt es nicht, ein Highlight jagt das nächste, jeder Saal mit den ganzen Kunstwerken ist ein Kunstwerk für sich, die Eremitage ein Gesamtkunstwerk. Grandios.

Drei Stunden Eremitage sind dann auch genug, mehr geht nicht, irgendwann lässt sich nichts mehr aufnehmen, es sind zu viele Eindrücke. Abwechslung und vor allem frische Luft ist dringend angesagt.

Auf zum historischen Kern von Sankt Petersburg, auf zur Peter-und-Pauls-Festung. Die Grundsteinlegung im Mai 1703 markiert das Gründungsdatum von Sankt Petersburg. Militärische Bedeutung hat die Festung nie, aber sie dient ab den 1720er Jahren als Kaserne und Gefängnis. Hier war recht viel inhaftiert, was in der russischen Geschichte Rang und Namen hat: Fjodor Dostojewski, Maxim Gorki, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Alexander Iljitsch Uljanow, der Bruder Lenins.

Während der Revolution ein Zentrum des Aufstandes ist die Festung heute zu großen Teilen ein Museum. Und natürlich Grablege der Zarenfamilie. Hier stehen die Särge der Romanows. Alle aus strahlend weißem Marmor – mit Ausnahme der Särge von Alexander II. und seiner Frau, welche aus grünem und rotem Marmor sind. Und damit ist auch der Fixpunkt der Festung markiert – die Kathedrale mit ihrem schlanken, vergoldeten Turm, lange Zeit das höchste Gebäude der Stadt. Filigrane Eleganz.

Was natürlich nicht fehlen darf ist eine Fahrt auf der Newa, wenn sich die Brücken öffnen. Auch wenn es mal überhaupt keine Temperaturen sind, die einladen, sich auf ein offenes Deck eines Schiffes zu setzen. Aber die ganzen Kanäle, die beleuchteten Plaste und die Brücken entschädigen definitiv.

Petersburg wurde von Peter dem Großen auch gegründet, um den russischen Anspruch auf einen Ostseezugang durchzusetzen. Und noch heute haben die Brücken ihre Bedeutung. Geöffnet ermöglichen sie den größeren Schiffen die Durchfahrt von der Ostsee zum Ladogasee. Die Öffnung der Brücken – gerade der Schlossbrücke – wird natürlich zelebriert. Es ist ein Touristenmagnet, das Ufer ist gesäumt von Neugierigen und die Newa ist gut gefüllt mit Booten.

Am Samstag hat sich die Sonne zurück gekämpft und gibt damit den perfekten Rahmen ab für einen Ausflug zum Peterhof. Mit dem Tragflügelboot geht’s entlang des Petrowski-Sportkomplexes und der sündhaft teuren neuen Arena raus zum Peterhof. Rechtzeitig zum Konfed-Cup 2017 ist die Arena fertig, 42,8 Mrd. RUB bzw. 800 Mio Euro hat sie gekostet, ein aberwitziger Preis. Aber irgendwie auch wieder passend zu dem Sankt Petersburger Anspruch.

Zurück zum Peterhof. Ästhetik, Symmetrien, Grün und vor allem unendlich viel Gold zeichnen die ganze Anlage aus. Und natürlich Wasser. Kaskaden, Fontänen, Springbrunnen, Wasserspiele – so überreich wie die Eremitage gestern, so überreich sind hier die Schlossanlagen ausgestattet. Nur dass sich hier alles um das Wasser dreht – passend zur Lage an der Ostsee. Absolut traumhaft – das zweite ultimative Prunkerlebnis.

Auch hier unterstreichen die Zaren, allen voran Peter I., den absoluten Herrschaftsanspruch. Herrschafts- und Überwältigungsarchitektur – ein gängiges Prinzip.

Unweit der Wohnung ist die Auferstehungskirche oder Bluterlöserkathedrale, die dem Vorbild der Moskauer Basilius-Kathedrale folgt. Die Zwiebeltürme sind schon mal sehr schick, werden aber deutlich übertroffen von der Ikonengestaltung im Inneren. Erbaut an der Stelle, an der Alexander II. ermordet wurde. Sein Sohn Alexander III., Zeuge des Attentates, ließ sie 1883-1912 dort errichten.

Unglaublich reich und farbig ist das Innere. Unfassbar viele Ikonen zieren sämtliche Wände und auch die Decken sind durchgängig verziert. Und – man sieht das ganz gut auf dem mittleren Bild – die meisten Verzierungen sind Mosaike – was eine Arbeit. Wie eigentlich alles in Sankt Petersburg ist auch die Kathedrale zauberhaft und faszinierend.

Der Sonntag ist dem Rückflug vorbehalten, aber extra so gelegt, dass vergleichsweises Ausschlafen möglich ist und noch das Alexander-Newski-Kloster besucht werden kann. Es liegt am Ende des Newski-Prospektes und damit haben wir dann wirklich die gesamte Länge dieser 4,5 km langen Prachtstraße unter unseren Füßen gehabt. Die Gründung geht selbstverständlich wieder auf Peter zurück. Pawel I. erhob das Kloster in den Lawra-Status, der höchste Status in der russisch-orthodoxen Kirche und nur vier Klöstern zuerkannt.

Alexander Newski ist Heiliger der russisch-orthodoxen Kirche, russischer Nationalheiliger und in eben jenem Kloster begraben. Und natürlich stellt sich Peter mit der Klostergründung genau in diese Traditionslinie.

In direkter Nachbarschaft ist der Tichwiner Friedhof, wo das Who is Who der russischen Künstlerszene begraben ist: Alexander Borodin, Fjodor Dostojewski, Alexander Glasunow, Michail Glinka, Modest Mussorgski, Nikolai Rimski-Korsakow, Wassili Andrejewitsch Schukowski, Pjotr Iljitsch Tschaikowski u.v.a.m. Anschließend geht es viel zu früh wieder zurück in die Heimat.

Fazit: Wir sind uns einig, die vier Tage waren vollgepackt, mehr geht nicht, irgendwann kann man kaum mehr was aufnehmen und braucht dementsprechende Pausen. Vier Tage sind eigentlich viel zu wenig, aber so waren nun mal die Umstände mit Brückentag und dementsprechend verlängertem Wochenende.

Glanz, Prunk, Liebreiz, Eleganz – viele viele weitere Attribute lassen sich der Stadt zuschreiben. Und für nahezu jede Beschreibung von Sankt Petersburg ist ein Superlativ angemessen. Sankt Petersburg ist die Stadt, deren Charme wir augenblicklich erlegen sind. Eine neu entflammte Liebe.

 

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