SCHWEDEN – Oktober : 2007

Hägerum_3

Noch ein paar Tage Urlaub im Herbst, Småland incl. Abstecher nach Stockholm ist das Ziel.

Strahlender Sonnenschein bei Ankunft in Trelleborg. Darüber hinaus bestätigt sich auf dem weiteren Weg endgültig, dass Skåne wirklich nicht so aufregend ist. Ich war mir da nicht so sicher, weil ich bei meiner ersten Bekanntschaft mit diesem südlichen Schweden etwas Nachtschicht-geschädigt war.

Keine großen Ziele stehen für den ersten Tag auf dem Programm. Wenig fahren, viel entspannen. Dazu soll auch der „Frödinge Ostkaka“ gehören, dieser hinreißende Käsekuchen, den wir uns direkt aus der Kühlhalle abholen; der kleine Gartenkiosk ist mittlerweile geschlossen. Touristische Saison gilt bis Ende September. Daran hält sich die Natur zum Glück in keinster Weise, bei sehr mildem Wetter präsentiert sich der småländische Wald in sämtlichen vorstellbaren und darüber hinaus gehenden herbstlichen Färbungen. Kombiniert mit der Stille, die in einem dünnbesiedelten Gebiet taktgebend ist, einfach ergreifend schön. Und immer wieder einer der vielen Seen. Zum Beispiel der Yxern und der Bysjön; spiegelblank und unberührt.

Etwas vom Ufer weg weitere Facetten der vielfältigen Flora: verschiedenste Arten und Farben von Moosen und Gräsern, Findlinge in groß und klein, bemoost und weniger bemoost und Pilze nahezu im Überfluss. Und dazu die herbstlich gülden gefärbten Siedlungen.

Am nächsten Tag soll es Vadstena sein, Klosterkirche und Schloss und die vielgepriesene mittelalterliche Altstadt. Und der Vätternsee. Aber fangen wir mit dem Weg an, der fast ausschließlich durch dichten småländischen Wald geht, entlang – diese Erwähnung ist ja eigentlich schon Standard – von unberührten Seen. Wildromantisch an den Stellen, an denen der Wald die Seen besonders dicht umschließt und das Wasser tiefschwarz scheinen lässt und auch dort, wo die Sonne noch gegen eine Wolkendecke anzukämpfen hat; verklärt-romantisch dort, wo die Sonne sich Bahn bricht und die ohnehin grandiose herbstliche Farbvielfalt zusätzlich unterstreicht. Spektakulär beides.

Später, in Östergotland, weniger Wald, mehr Landwirtschaft, mehr grüne Felder. Keine Wolke ist mehr am Himmel, das Grün der Felder leuchtet saftig-satt in der strahlenden Sonne, das gelb gefärbte Laub strahlt golden, die rötlich gefärbten Bäume scheinen entflammt. Auch der Vätternsee, an dessen Ufer Vadstena ist, liegt nicht dunkel und schwer, sondern in sommerlich strahlendem Blau. Eigentlich lassen nur die Temperaturen erahnen, dass in Schweden der Herbst Einzug gehalten hat. Und das leider verschlossene Kloster. Ziemlich rigoros, aber die Erfahrung hier scheint zu sein, dass Touristenströme ab dem 01.10. nicht mehr zu erwarten sind. Uns bleibt das wehrhafte Schloss, dass an das Schloss in Kalmar erinnert; kein Wunder, auch jenes geht auf den alten Schwedenkönig Gustav Wasa (1497-1569) zurück.

Auf der Suche nach dem interessantesten Weg zurück laufen uns die Alvastra-Klosterruine und der Runenstein von Rök und damit das schwedische Mittelalter über den Weg.

Erstaunlich preisgünstig und komfortabel geht’s am 3.10. nach Stockholm, wo wir als erstes das Stadshuset (Rathaus) ansteuern. Eine Irritation bei der Hotelsuche führt uns ungeplant vorbei am Konserthuset, einem eher stillen Star Stockholms. Einmal jährlich, wenn hier die Nobelpreise verliehen werden, tritt es in das Licht der weltweiten Öffentlichkeit. Bei der Erkundung von Riddarholmen fällt auf, wie einzigartig schön Stockholm auf die vielen Inseln an der Nahtstelle zwischen Mälarsee und Ostsee verteilt ist. Später können wir uns einen noch besseren Überblick verschaffen. Vom Fernsehturm Kaknästornet hat man einen Blick auf die Mischung aus Wasser und Inseln.

Nachdem wir insbesondere um Vadstena der schwedisch-nordischen Geschichte über den Weg gelaufen sind, bringt die Stockholmskortet freien Eintritt in das Historische Museum. Wenn es die Oslo-, Stockholm-, Helsinki- oder wie auch immer Card nicht schon geben würde, man müsste sie erfinden. Von vornherein ist klar, dass hier die wikingischen Vorfahren im Mittelpunkt unseres Interesses stehen, zu prägend und kulturell vielschichtig war diese Gruppe mindestens für das nördliche Europa. Genaugenommen sind die „Wikinger“ eben kein Volk von Schweden, Norwegern oder Dänen, sondern eher eine Sammelbezeichnung. Von einem königlichen Zentrum mehr oder weniger unabhängige schwedische, dänische oder norwegische Häuptlinge und Mannschaften, die ihren Vorstellungen von „Abenteuer“ nachgingen.

Demgegenüber hält sich mein Interesse am Königshaus in überschaubaren Grenzen. Ich bin halt kein so großer Anhänger des Adels, so dass ich mich bei der Beeindruckungsarchitektur v.a. an netten Perspektiven erfreue, insbesondere, wenn sie so schön von der untergehenden Sonne angestrahlt werden. Die zauberhaftesten Blicke in dieser Stimmung sind hingegen nicht die auf das Schloss, sondern die von Riddarholmen hinüber nach Gamla Stan.

Drei Highlights haben wir uns noch für den nächsten Tag aufgehoben. Zunächst das Vasamuseum, der feuchte Traum aller, die von „Master and Commander“, dem „Roten Korsar“ oder wie sie alle heißen nicht genug bekommen können. Hier steht sie rum, die Realität gewordene Filmkulisse oder die Filmkulisse gewordene Realität. Naja, so ungefähr jedenfalls. Natürlich steht die Vasa nicht da für einen Film, aber man könnte sich, so gut wie sie erhalten ist, problemlos in einen solchen beamen. Zweifellos würde die Geschichte der Vasa ein veritables Forschungs-, Historien- oder Dokudrama abgeben. Auch das Zeug zu einer Komödie steckt in dem Stoff. Nur ein Kriegsdrama dürfte gnadenlos scheitern. Dabei sollte doch das mächtige Schiff mit 64 Kanonen auf zwei Kanonendecks der Stolz der Schwedischen Flotte werden. Am 10. August 1628 konnte sie diesen Stolz auch 1300 Meter zeigen, dann soff sie noch im Hafen ab. Slapstick vom Feinsten. Gewissermaßen schon in diesem Moment begannen die Versuche zur Bergung. Die Forschung nach der besten Methode dauerte aber schlanke 333 Jahre. Seit 1990 steht die Vasa nun im neuen Vasamuseum, aufwendig konserviert und dokumentiert; illuminiert von fast sakraler Tiefe.

Geradezu sensationell wäre natürlich, wenn man sich auf und unter Deck der vergangenen Realität eines solchen Kriegsschiffes nähren könnte, aber herumtrampelnde Massen würden die mühevolle Konservierung in null Komma nichts pulverisieren. Bleibt also nur der Abenteuer- oder Historienschinken, die sich hier unweigerlich im Kopf abspielt. Und der ist beeindruckend genug. Die Zeitreise nähert sich dem Ende und sie bedeutet, wieder einzutauchen in das lebhafte Stockholm, das nach dem beschaulichen Småland umso lebhafter wirkt.

An exponierter Stelle liegt das Stadshuset und eine exponierte Stellung hat es über die Grenzen Stockholms hinaus. Zwar werden die Nobelpreise nicht hier verliehen, aber das anschließende Galadiner findet in der Blauen Halle statt. Die aber so gar nicht blau ist. Änderung der Architektenpläne: er entschied sich kurzerhand von blauem Anstrich zu naturbelassen um.

Man bewegt sich also die ganze Zeit auf wahrhaft bedeutungsschwangerem Grund; der Nobelpreis ist ja schließlich nicht irgendeine Auszeichnung. Die Gestaltung kann mit der Bedeutungsschwere mithalten. Neben allerlei Schnickschnack, der vor allem suggerieren soll, dass das Haus weit vor 1923 erbaut worden ist, steht vor allem der Turm für Wehrhaftigkeit und weithin sichtbare Mittelalter-Anleihen. Wenn man will, kann man sich an eine Burg erinnert fühlen. Wobei man sich – bei näherem Hinsehen – eher der italienischen Renaissance nähert. Die Formensprache verweist in diese Richtung und wird unterstützt durch das offen-luftige Atrium mit der zum Wasser gewendeten Arkadenreihe. Die Anlage soll bei strahlendem Sonnenschein ganz bewusst an Venedig erinnern. Dem Architekten Ragnar Östberg ist mit dem Stadshuset ein Gesamtkunstwerk gelungen, das mit solchen Zitaten spielt. Stockholm hingegen ist mehr. Ist Stockholm mit einem mondänen Stadtkern, mit Repräsentativbauten, mit viel Wasser. Eine lebhafte Großstadt, die mit viel Wald und Wasser und Parks bezaubernd im Mälarsee gelegen ist, was uns eindrücklich beim Gang durch und Blick auf Gamla Stan bestätigt wird.

Nach dem Intensivkurs Stockholm fehlen als abschließendes Ziel noch Schären satt. Die Schärenlandschaft vor Stockholm blieb uns ja saisonbedingt verwehrt, kein Schiff mehr, welches führe. Also geht’s im Auto gen Loftahammar, hin und wieder mit Stopps, um das eine oder andere Stück des Weges intensiver zu genießen.

Mit jedem kleinen Weg, den wir nehmen, um direkt ans Wasser zu kommen, scheint die Schärenlandschaft schöner zu werden. Pünktlich zum beeindruckendsten Teilabschnitt bricht die Sonne richtig durch. Auch ohne Sonne wäre Flatvarp ein absoluter Geheimtipp. So ist’s aber Anmut in höchster Potenz. Zu schön, um es zu erzählen. Einfach hinfahren und genießen! Es läuft viel zusammen an dieser Stelle. Es ist – ich wiederhole mich – ergreifend schön. Es ist ruhig, abgelegen und romantisch einsam. In Schweden kommt ja eh selten der Massentourismus-Verdacht auf. Und hier schon mal gar nicht. Ein paar Fischerhütten, symbiotisch mit dem Stein verbunden. Stundenlang kann ich über die Steine klettern und immer wieder neue Perspektiven entdecken, mich an immer neuen Kleinigkeiten begeistern: an den alten Steinen, die wohl mehr als eine Eiszeit gesehen haben, am Spiel zwischen Wasser und den blankgescheuerten Steinen, an der kargen, aber vielfältigen Vegetation, die sich auf den Steinen ausgebreitet hat. Kurzum, will man die Bildersammlung einer idealtypischen Schwedischen Schärenlandschaft zusammenstellen, gehört Flatvarp klar dazu.

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