Endlich sollte mein lange gehegter Plan England angehen. Irgendwas war immer dazwischen, umso größer die Vorfreude und Spannung auf die Tage zwischen den Festtagen 2007. Dass in England der wahre Fußball gespielt wird davon wollten sich Basti, Henning und ich überzeugen.
Wobei das ja quasi nur auf mich zutrifft, hatten sich doch Henning und Basti schon davon überzeugt, dass eine Winterpause für richtige Fußballer nur dummes Zeug ist. Also auf ins geheiligte Land des Fußballs. Der Auftakt erfolgt in Manchester mit Manchester City F.C. gegen Blackburn Rovers F.C. Bevor das Spiel auf dem Plan steht, gilt es, per Mietwagen die paar Kilometer zwischen London und Manchester zurückzulegen, was Basti routiniert erledigt. Insofern erwähnenswert, als dass der Linksverkehr auf der Insel ja schon eine erhebliche Umstellung ist und Henning und ich die Übernahme des Steuers dankend abgelehnt haben, von Basti zähneknirschend zur Kenntnis genommen. Dass ich das ganze Jahr über berufsbedingt am Steuer sitze, war für mich eine erhebliche Entscheidungshilfe. Großer Dank also an Basti für die Kurverei in den Tagen!
Angekommen in Manchester, gilt es zunächst, die Tickets abzuholen, was auch problemlos funktioniert. Die Irritationen im Vorfeld sind also innerhalb von einer Viertelstunde vom Tisch gewischt. Die Unterkunft ist zweckmäßig, nicht mehr, nicht weniger. Abgefahren eher die Lage in einem Viertel, welches sich die Bezeichnung heruntergekommen redlich verdient hat. Der folgende Weg in die City und später zum Stadion bekräftigt mich in der Meinung, dass Manchester eine raue, spröde Industriestadt ist. Wenig schön. Uns ist’s egal, wir wollen hier keine touristischen Highlights abgrasen, von denen es in Manchester eh nicht so viele gibt, sondern in den nächsten Pub und zum Fußball. Das City of Manchester Stadium ist ein Neubau auf der grünen Wiese, die Anbindung an die Stadt geradeso noch da. Außen nichts Besonderes, neu eben, innen durchaus okay, mit zwei durchgehenden Rängen und auf den beiden Geraden jeweils mit einem dritten Rang. Die gelebte Geschichte eines Stadions vermisst man hier.
Unsere Plätze sind in der ersten Reihe, was für den Blick aufs Spielgeschehen nicht wirklich gut ist, andererseits können wir jetzt behaupten, zu wissen, wie man sich als Zuschauer knapp oberhalb der Grasnarbe fühlt. Auch das ist ja eine Perspektive, die irgendwie zum englischen Fußball gehört.
Bei Manchester City ist mittlerweile der geile Sven der Coach, ja noch bestens bekannt als Coach der Englischen Nationalmannschaft. Der aktuelle Höhenflug von ManCity dürfte nicht unwesentlich ihm zuzuschreiben sein. Darüber hinaus Didi Hamann, der aber heute nicht zum Einsatz kommt. Bei Blackburn auch ein alter Bekannter mit Santa Cruz. Das Spiel mit leichten Vorteilen für ManCity, folgerichtig gehen sie auch mit 2:1 in die Halbzeitpause, versäumen aber, das auszubauen und fangen sich kurz vor Schluss noch das 2:2. Kurios dieses Tor; erst gegeben, dann zurückgezogen und nach Beratung zwischen Linienrichter, äh Schiedsrichterassistent, und Schiedsrichter dann doch gegeben, ist es ein durchaus korrektes Ergebnis. Beide Tore für Blackburn übrigens von Santa Cruz. Der Support zeigt, dass sich der Fußball in England gewaltig verändert hat. Das Potential ist zweifelsohne da und kommt auch ein paar Mal heftig laut daher, weil in diesen wenigen Momenten vom fast gesamten Stadion getragen, aber ansonsten eher dürftig.
Der nächste Tag ist die Zwischenetappe von Manchester nach Sheffield. Wir überqueren dabei die südlichen Ausläufer der Pennines, die ein gar nicht so ganz kleiner Mittelgebirgszug sind. Karg kommt er jetzt im Winter daher, soll aber ganz nett zum Wandern sein. Sheffield macht als Stadt ein wenig mehr her als Manchester, wenngleich auch diese Stadt nicht als Schönheit zu begeistern weiß. Sehr spannend ist das Beäugen der Engländer, sei es beim Shoppen hier in Sheffield oder im Pub in Manchester oder in Sheffield oder später in Leicester. Bemerkenswert aufs Wesentliche beschränkt sind die meisten. Keine miese Frisur von irgendwelchen unterklassigen deutschen Fußballern. Kurzhaarschnitt ohne Schnickschnack. Fein. Keine Jagd nach irgendwelchem modischen Schnickschnack, nur um irgendwie angesagt zu sein. Keine blöden Eventwichser. Erfrischend.
Zumindest ist das der Eindruck, den ich von den Midlands, wo wir ja unterwegs sind, habe. Das eine spiegelt wohl auf das andere zurück. Rau ist’s und die für das deutsche Auge eintönige Bauweise vieler Siedlungen trägt dazu bei. Abgesehen davon wirken sie auch nicht üppig gepflegt. Vielleicht aber ist das der tiefe Anker der britischen Seele, das Raue, Direkte und wenig auf Äußerlich bedachte, das sich auch darin zeigt, dass einfach der Jogger zum Besuch im Pub ausreicht. Darüber hinaus die kompakten, fast halslosen, oft martialisch zugehackten englischen Biermonster☺. Nach einem obligatorischen „Full English Breakfast“ (Was wäre England ohne bacon, eggs, pork sausages, beans and black pudding zum Frühstück? Und was wäre ein Aufenthalt in England ohne dies?) machen wir uns auf den Weg zum Stadion an der Bramall Lane, dem ältesten Stadion der Welt, 1855 gebaut und eingeweiht und seit 1889 Heimstätte des Sheffield United F.C. Natürlich erinnert nichts mehr an 1855, zwischenzeitlich modernisiert und ausgebaut ist es. Aber: es ist ein Stadion mit Ecken und Kanten, dem man die gelebte Geschichte ansehen kann, sichtbar uneinheitlich in den Ausbaustufen und gerade deshalb schön. Und es ist nach wie vor mitten im Wohngebiet. Ich liebe es!
Schade nur, dass die Reglementierungswut im Englischen Fußball krankhaft ist. Die Versitzplatzung ist bekannt, dass aber die erste Reihe des Oberranges nicht betreten werden darf, weil darunter der Block der Away-Supporter ist, erscheint mir grenzwertig. Vollends unverständlich ist mir, dass während des Spiels keine Fotos gemacht werden dürfen, was mir der Steward freundlich, aber unmissverständlich zu Verstehen gibt. Und warum man das Catering im Innenraum während des Spiels nicht nutzen sollen darf, erschließt sich mir auch nicht. Wie auch immer: wir sehen ein Spiel zweier Mannschaften, die sich nicht wirklich zwingende Torchancen herausarbeiten können. Das gewinnbringende 1:0 für Crystal Palace resultiert aus einer Standartsituation. Der Support ist ausgeglichen, aber nicht gut; es hat sich viel verändert im Englischen Fußball.
Etwas weiter im Süden spielt wenig später Coventry City F.C. gegen Ipswich Town F.C., was wir locker schaffen. Parken ist dank eines netten Polizisten auch stressfrei möglich. Zum Stadion: Ricoh-Arena heißt das Ding und ist noch schlimmer als der Name. Einfach ein lieblos dahingeklotztes Ding, was gleich nebenan noch ein Casino hat. Will ich nicht mehr zu sagen, die Bilder reichen. Außer: Coventry City F.C. gewinnt gegen Ipswich Town F.C. 2:1.
Die Übernachtung erfolgt im empfehlenswerten Travelodge in Leicester-City. Der benachbarte Pub ist ebenfalls sehr zu empfehlen, die Ansammlung der schon zitierten Englischen Biermonster erinnert uns an die eine oder andere Szene von „Football Factory“. Das letzte Spiel vor dem Rückflug steigt in Derby. Die vielzitierte Grüne Wiese trifft auf das Pride Park Stadium ebenfalls zu, wenngleich von einer grünen Wiese so gleich gar nichts mehr zu sehen ist. Ein Einkaufspark von beachtlicher Größe und einiges an Firmengebäuden mit den dazugehörigen üblichen Fast-Food-Ketten bestimmen das Bild. Und mittendrin das Stadion. Die Außenansichten von Stadien verraten ja allgemein meistens nichts über das Innere, was uns ein Fünkchen Hoffnung lässt, nicht im Innern quasi die Fortsetzung dieses Parks zu sehen.
Und wir werden in mehrfacher Hinsicht positiv überrascht. Das Stadion ist unübersehbar modern, wirkt aber durch die architektonische Gestaltung des Daches schon mal nicht ganz so trocken einheitlich. Zudem ist es schwarz bestuhlt, was ohne Zweifel recht edel daherkommt. Um diesen positiven Eindruck abzurunden, erleben wir hier den besten Support der Tour. Ein wenig mag das schon verwundern, denn nach 19 Spieltagen ist Derby County F.C. mit sieben Punkten abgeschlagener Letzter. Trotzdem sind 30.048 Zuschauer da, die nicht nur sehr intensiv supporten, sondern sich auch gute Verbalgefechte mit den Awaysupportern liefern. Dem Team von Derby sieht man an, warum der letzte Tabellenplatz unangefochten eingenommen wird. Dennoch wird gefightet und gegrätscht, wenn auch zuweilen mal ins Leere. Und für ein paar Minuten können wir dem zweiten Sieg des Teams in der Saison entgegensehen. Das 1:0 wird frenetisch bejubelt, wenig später die Chance zum 2:0 durch einen Elfmeter. Aber – man ahnt es – das Glück ist eine Hure: Der Elfmeter wird gehalten und im Gegenzug gleicht Blackburn durch Santa Cruz aus. Drei Minuten später das sehenswerte 2:1 für Blackburn, das in der zweiten Hälfte nicht mehr wirklich in Gefahr gerät.
Leicht angespannt kämpfen wir uns durch das Abreisechaos, schließlich sind noch 200 km zu fahren und der Flieger wird bestimmt nicht auf uns warten, nur weil wir in Derby noch zum Fußball wollten. Alles läuft aber ohne Probleme, so dass wir nach Flug usw. wie geplant um 1.00 Uhr morgens wieder in der Löwenstadt sind. Kann definitiv wiederholt werden!