Der nicht für möglich gehaltene BTSV-Klassenerhalt bzw. die Qualifikation zur neuen eingleisigen 3. Liga lässt das Fußballjahr 2008/09 blau-gelb erstrahlen. Zunächst aber sind Finnische Liga und Europapokal angesagt.
Samstag kann ich bei brütender Hitze im schönen Erzgebirgsstadion den siegreichen Auftakt unserer verjüngten Mannschaft in Liga 3 mitnehmen. Leidenschaft, Spielwitz, Kombinationsfußball und Souveränität. Eine Mannschaft mit einem Gesicht wie seit zwei Jahren nicht und umso süßer schmeckt auch der Sieg. Genau in dieser Hochstimmung, es ist lange her, dass ich so ein nachhaltiges Gefühl in Bezug auf Eintracht hatte, steige ich in den Flieger nach Helsinki. Ein Flug, zwei Busfahrten und drei Stunden später stehe ich in den Katakomben des Olympiastadions Helsinki in einem 12-Bett-Zimmer. Zum Glück gibt es Ohropax. Die Katakomben sind genau genommen das Youth-Hostel, dem man die Jahre ansieht. Schließlich ist das Olympiastadion für die Olympischen Sommerspiele 1952 gebaut und das Youth-Hostel vier Jahre später integriert worden. Vom Preis her unschlagbar, dafür die Dusche – nun ja – grenzwertig. Am Ende gitb aber das Preis-Leistungs-Verhältnis den Ausschlag.
Ein Kaltgetränk und ein wenig zu essen später spielen HJK Helsinki und IFK Mariehamn im FinnairStadium um die Finnische Meisterschaft, wobei sich nur noch Helsinki berechtigte Hoffnungen auf eben diese machen kann. Das Stadion ist 2000 eröffnet und besticht durch eine spannende Dach- und Dachträgerkonstruktion. Außerdem hat es schlichtweg einen schönen Platz im Stadtbild abbekommen. Das Spiel brauch ein wenig, um in die Gänge zu kommen, ist dann aber in der zweiten Halbzeit mit drei wunderschönen Treffern sehr unterhaltsam. Der 4:0-Heimsieg ist völlig verdient.
Frisch ausgestattet mit der Helsinki-Card nehme ich die nächsten zwei Tage die 3 B, eine Straßenbahnlinie, von der jeder Reiseführer behauptet, dass diese so etwas wie eine Stadtrundfahrt ohne Audiokommentar bietet, weil sie an allen Sehenswürdigkeiten vorbeifahre. Möchte mal wissen, wer da von wem abgeschrieben hat. Schön isses, was aber v.a. daran liegt, dass Helsinki insgesamt schön ist. Was die Stadt v.a. der Herrschaft Russlands über Finnland zu verdanken hat, denn erst 1812 löst Helsinki Turku als Hauptstadt ab, um eine bessere Verkehrsanbindung an St. Petersburg zu ermöglichen. Und damit beginnt die eigentliche blühende Entwicklung der Stadt. Die Highlights der Stadt lassen sich aber immer noch besser auf andere Weise erreichen. Zu Fuß z.B. Hat auch den Vorteil, dass ich links und rechts der empfohlenen Wege schauen kann.
Klar ist der Senatsplatz zu Füßen der Domkirche der Star unweit des belebten Hafens. Aber nur wenige Minuten entfernt markiert die Uspenski-Kathedrale die Jugendstil-gesättigte Halbinsel Katajanokka. Neben dem eleganten Jugendstil und der architektonisch-verspielten und ikonographisch bedeutungsschweren Kathedrale gibt’s im Norden der Halbinsel noch schwere Technik für alle Fans der finnischen Eisbrecherflotte, die da im Sommer ankert.
Und natürlich gibt es auch Schären satt: ob nun beim Gang an den Ufern der Stadt oder bei der Fahrt zur ehemals mächtig bedeutsamen Festung Suomenlinna oder bei der Fahrt durch ebenjene Schären. Helsinki beeindruckt durch die Möglichkeiten des schnellen Wechsels: an Hafen und Markt buntes und lebhaftes Treiben, welches sich über die Esplanaden hin zum Bahnhof und wieder zurück über die Aleksanterinkatu zieht mit vielen kleineren und größeren Läden und unzähligen Straßencafés. Und wenn man Ruhe sucht, ist’s meist keine Minute Weg, um diese zu finden. So, wie es unzählige Straßencafés gibt, gibt es unzählige völlig ruhige, aber keineswegs abgeschiedene Plätze am Wasser, wahlweise irgendwelche ruhigen gleichwohl spannenden Straßenzüge oder diverse Parks. Helsinki ist sehr kompakt, aber abseits jeglicher Hektik.
Für den nächsten Tag habe ich mir zwar nicht vorgenommen, sämtlichen Säulenheiligen der Finnischen Geschichte zu huldigen, aber das 1967 eingeweihte Sibelius-Denkmal interessiert mich denn doch. Recht abstrakt. Der zweite ist Alvar Aalto bzw. seine Konzert- und Kongresshalle Finnlandia. Edel und groß steht sie da. Das edle Weiß hat sie feinstem Carrara-Marmor zu verdanken. Dumm nur, dass dieser alle 25 Jahre ausgetauscht werden muss, weil er das finnische Winterklima auf Dauer nicht aushält.
Kein Helsinki-Besuch kommt übrigens ohne die Felsenkirche aus, so wird gesagt. Nahe der Finnlandia-Halle lasse ich mir dieses architektonische Juwel nicht entgehen. Keine Kirche im herkömmlichen Sinne; 1969 wurde sie als Rundbau in den Felsen gesprengt und gebaut und bietet neben spannender Architektur auch kontemplative Ruhe. Zum Abend hin interessiert mich das Olympiastadion mit Sportmuseum und Olympiaturm.
Und es bestätigt sich, was mir beim Blick in die Zeitung nicht ganz so klar war. Im Töölön Pallokenttä, einem Nebenplatz des Finnair-Stadiums spielt der finnische Traditionsverein Helsingfors IFK, mittlerweile in der dritten Finnischen Liga, gegen Hyvinkään Palloseuran und verliert 1:2. Bei einem Bier auf der Felsplatte nehme ich den durchschnittlichen Kick mit.
Nach dem Intensivkurs Helsinki hoffe ich auf viel Landschaft und viel Wasser im Land der 1000 Seen – tatsächlich sollen es mehr als 180.000 sein -. Die Tour über Lahti nach Tampere ist schön, wird aber nicht nachhaltig wirken. Wahrscheinlich muss man für das „typische“ Finnland noch weiter in den Norden. Also Tampere: die größte Binnenstadt Finnlands zwischen zwei Seen hat neben dem Dom mit reichlich Jugendstil das Moomintal zu bieten:-).
Fußball gibt’s dann auch noch. Die 2. Runde der Champions-League-Qualifikation beschert dem Ratinain-Stadion die Partie zwischen Tampere United und Artmedia Petržalka. Petržalka ist ein Stadtteil von Bratislava. Zwei Stunden vor Anpfiff ist hier noch nichts los. Gut 9.000 Zuschauer werden es am Ende. Das Spiel wird souverän von den Gästen gewonnen. Überlegenes Kurzpassspiel und schneller Konterfußball mit selten gesehenem Zug zum Tor. Tampere hat dem nichts entgegenzusetzen. Das 3:1 spiegelt die Überlegenheit nur annährend wieder.
Die Fähre nach Tallinn am nächsten Tag beschert mir nochmals einen Blick auf die Finnische Hauptstadt, diesmal aus anderer Perspektive.
Ein paar Schären noch, die alte Festung, die vom Wasser aus mächtig zu beeindrucken weiß und dann geht der Blick nach Tallinn. Durchaus mit Spannung, ist Tallinn doch die alte Rivalin von Helsinki, denn Helsinki wurde 1550 auf Befehl vom Schwedenkönig Gustav I. Wasa gegründet, um mit der Estnischen Hanse-Handelsstadt zu konkurrieren. Ich bin gespannt, was von dieser alten Handelsstadt noch zu sehen ist. Zunächst aber ist, nachdem mich Sandra von der Fähre abgeholt hat, die Unterkunftsfrage zu klären bzw. zu modifizieren, was überraschend problemlos und unkompliziert in einem Bruchteil der veranschlagten Zeit erledigt wird☺. Tausend Dank nochmal dafür! Der Zwischenstop in der Altstadt dient v.a. der Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Rechtzeitig zum UEFACup-Qualifikationsspiel zieht es Rocky, Sandra und mich zur 2001 erbauten A.Le Coq Arena, wo im Gegensatz zu normalen Meisterschaftsspielen ne Menge los ist. Ausgeschenkt wird aber nur spaßbefreites Bier, wir hatten anderes erwartet, immerhin ist der Namensgeber die größte Estnische Brauerei. Irgendwie nicht nach unserem Urlaubsgeschmack.
Immerhin ist die Arena relativ gut gefüllt und die Gäste machen zudem gut Alarm. Und Djurgardens IF legt auch gut vor, führt nach 1:0 in der 25. min und 2:0 in der 55. min um dann doch noch kurz zu wackeln, als Flora innerhalb kürzester Zeit ausgleichen kann. Mehr aber auch nicht. Das reicht den Schweden zum Weiterkommen. Die Absicht, Jan Tauer, mitzuteilen, was man von seinen letzten unmotivierten Auftritten im Eintracht-Dress hielt, verfängt auch nicht so richtig, weil er ganz offensichtlich nicht versteht, was ihm da zugerufen wird. Er freut sich einfach, dass da drei Braunschweiger im Stadion sind. Lassen wir ihn einfach in dem Glauben, dass wir wegen ihm in Tallinn Fußball schauen. Die Dinge, die wir ihm mitzuteilen haben, möchte er auch gar nicht so genau hören☺.
Kurz nach Abpfiff, vor dem Stadion, zeigt die Polizei, was die gute alte russische Schule ist. Aus welchen Gründen auch immer rast ein Auto heran, die Türen fliegen gleichzeitig auf, heraus stürzen die Uniformierten, greifen sich den Auffälligsten und bevor auch nur ansatzweise jemand die Situation mitgeschnitten hat und reagieren kann, sind alle im Auto und ab geht’s in rasantem Tempo. Was nun der Grund war? Vielleicht fühlte sich da jemand durch seinen zur Schau getragenen Helm provoziert, so genau wollte ich da auch nicht fragen, ging eh zu schnell. Das Viertel und der Laden, in dem wir unsere Biervorräte auffrischen, erinnern mich so sehr an das, was ich aus Leningrad äh St. Petersburg und Moskau kenne, dass ich mich für einen kurzen Moment ein gutes Jahr weiter und damit in Moskau zum Länderspiel sehe. Aber zunächst ist der Weg in die City zurückzulegen, welcher erstens recht kurz ist und zweitens auch recht kurzweilig.
Nach dem äußerst preisgünstigen Frühstück steht für mich die intensive Erkundung der Altstadt Tallinns an. Was mir auf Anhieb gefällt: die Stadt versucht nicht mit Macht, sich in Hochglanz zu präsentieren, um vielleicht noch mehr Touristen anzulocken, sondern wirkt sehr natürlich. Dazu zählt allerdings auch, dass hier noch altes Kopfsteinpflaster liegt; so richtig altes rundes, was sehr anstrengend ist, wenn man den ganzen Tag drauf rum läuft. Allerdings nehme ich das gern in Kauf für die ursprüngliche und natürliche Wirkung der Altstadt, denn neben den ungezählten schönen Ecken ist dies ohne Zweifel ein wesentlicher Punkt, der den Charme dieser Stadt ausmacht.
Mittelalter ist hier ständiger Begleiter, nicht nur weil der Kern immer noch fest umrissen ist und die Stadtmauern erstaunlich dicht erhalten sind, sondern auch weil die Hanse hier ständig zu finden ist. Gut, kann man bei einer alten Hansestadt auch so erwarten, ist aber nicht bei jeder offensichtlich und der Fall. Tallinn hingegen zeigt alles: trutzige Stadtmauern, ehrfurchtgebietende Schutztürme, verwinkelte, mittelalterliche Gassen, ein Schloss, Kirchen für jeden Geschmack und jede Glaubensrichtung, stattliche Kaufmannshäuser nicht nur aus der Hansezeit und noch mehr Türme. Wunderschön ist schon fast untertrieben.
Der folgende Abflugstag beschert uns sehr zu unserer Freude einen fröhlich lärmenden Katalanische Zug durch die Straßen der Stadt mit jeder Menge Straßenkunst, die meistens, spätestens immer bei den menschlichen Pyramiden, gar nicht so klein war. Ein sehr unterhaltsames, farbenfrohes und anspruchsvolles Spektakel. Perfekt. Die Zeit bis zum Abflug sinnvoll gefüllt. Der Urlaubsausklang kann kaum besser sein.