Meine letzte Urlaubswoche beginnt unterhaltsam und emotional mit Eintrachts Heimsieg gegen Holstein Kiel. Ein paar Biere und eine Nacht später fahren Basti, Henning und ich nach Tegel. Schon auf dem Flughafen hoher Spaßfaktor: Normale Leute und davon auch noch ne ganze Menge. Die kleine Bar am Flugsteig schreibt Rekordumsätze; muss nach kürzester Zeit ein neues Fass heranrollen.
Vom Gesichtsausdruck der Stewardessen im Flieger könnte man Romane schreiben. Begeistert ist anders! Gefühlt bringt jeder zweite Fluggast neben seinem Handgepäck noch diverse Biere als Flugverpflegung mit. Man soll ja immer viel Flüssigkeit zu sich nehmen! Geduldig lässt die Crew dies aber über sich ergehen; erstens dauert der Flug nach Riga nur 1 ½ h und zweitens sind die Gäste an Bord einfach nur in allerbester Trinklaune und mehr nicht.
Umsteigen in Riga: Wie bitte sollen 35 min reichen? Unsere Befürchtungen stellen sich als völlig unbegründet heraus. Auch wenn nicht ganz klar wird, warum der offensichtlich orientierungslose Flughafenbusfahrer einmal um den ganzen Flughafen fährt, erreichen wir den Flieger und sehen uns in diesem mit komplett spaßbefreitem Personal konfrontiert. Eigene Getränke im Flieger nicht erlaubt ist ja nachvollziehbar, aber dann sollen die Volldeppen für ausreichend Getränke sorgen. Diese waren nämlich innerhalb kürzester Zeit an Bord völlig ausverkauft. Na egal, wir improvisieren mit unserem eigenen Bier, kommen rechtzeitig an und das Abenteuer beginnt schneller als gedacht.
Taxifahrer ist schnell gefunden, seine Preisvorstellungen auch schnell korrigiert. Geld findet sich leider nicht so schnell, die drei Automaten am Flughafen sind leer. Kein Problem für den Fahrer, Automat wird schon auf dem Weg zum Ziel zu finden sein. Auf der sechsspurigen Ausfallstraße bekommen wir einen Bankomat zu sehen, was unseren Kollegen zu einer Vollbremsung veranlasst. Nachfolgender Verkehr egal, Vollsperrung und Rückwärtsfahren auf der Ausfallstraße; wir sind begeistert. Auch hier werden also Verkehrsregeln offensichtlich eher als Empfehlungen und nicht als Regeln gesehen. Wahrhaftig begeistert sind wir, als wir endlich unsere Unterkunft für die nächsten Tage, das International Youth House finden.
Unsere bescheidene Abwehr eines kleinen Imbiss wird gastfreundlich ignoriert und so bekommen wir nicht nur etwas in den Magen, sondern auch noch eine Schlafstelle für die Nacht, obwohl eigentlich ausgebucht und von uns vorher nicht explizit geordert. Aber erstens ist hier Gastfreundschaft selbstverständlich und zweitens ist man hier fröhlich und immer wieder am improvisieren. Wir sind zu müde, um dies ausreichend würdigen zu können. Die Nacht bringt Schlaf, irgendwie und irgendwann. Es ist einfach zu warm in diesem Zimmer und die Bettlager nicht gerade rückenfreundlich. Am nächsten Morgen sehen bzw. riechen wir den Zustand der Sanitäreinrichtung. Klein und okay; aber irgendwo im Abfluss verstopft, so dass es schon ein sehr strenger Geruch ist, der sich entwickelt und ins Zimmer zieht. Der erste Einkauf ist demnach nicht etwa Bier wie man denken könnte, sondern Sanitärreiniger. Irgenwas. Hauptsache der Geruch ist überlagert. Hat so leidlich funktioniert… Fortan heißt es also, egal auf welchem Wege, genug Müdigkeit mitzubringen, um jeweils schnell einzuschlafen.
Das Frühstück ist reichlich und okay mit Fladenbrot, Schafskäse, Butter, Eiern und Tee. Die Erkundung Bakus kann also beginnen. Absolutes Glück haben wir definitiv mit dem Wetter, denn entgegen der Prognosen haben wir keine 40°C, sondern irgendwas bei 25-30°C und sogar teilweise regnerisches Wetter. Kommt einer Stadterkundung natürlich entgegen. Diese beginnt recht schnell mit dem Präsidentenpalast, denn er liegt quasi auf dem Weg zum Aserbaidschanischen Fußballverband, wo wir unsere Karten für das Länderspiel abholen wollen.
Zunächst aber dürfen wir einem hübschen Schauspiel beiwohnen, welches uns zwar zunächst überrascht, in den nächsten Tagen aber zur Routine wird. Immer wenn der Regierungschef durch die Gegend fährt, müssen die Straßen abgesperrt werden, was die Polizei auch wortreich erledigt. Verstärkt über die Lautsprecher ihrer Autos klingt dies höchst abgefahren, denn in unseren Ohren klingt dies, wie feinste Pöbelei. Diese indes ist quasi ständig zu vernehmen; vollends klargeworden, welchen Zweck dies erfüllen sollte, ist es uns nicht.
Die Karten sind recht schnell eingesammelt dank Bastis Vorarbeit, also kann das touristische Programm starten. Die durchaus sehenswerte Altstadt beginnt mit dem Jungfrauenturm. Früher reichte das Meer bis an diesen Turm. Der Aufstieg auf den Jungfrauenturm lohnt, der Blick auf die Altstadt und vor allem auf nett gestaltete Hinterhöfe entschädigt für die Mühen. Auch der Ehemalige Basar, der früher durchziehenden Karawanen als Handelsplatz diente, ist von dort oben sehr gut zu sehen. Sehr augenfällig sind in der Altstadt die riesigen Holzerker. Und wie es sich für eine anständige Altstadt gehört, ist sie an vielen Stellen eng und verwinkelt. Immer wieder treffen wir auf die alte Stadtmauer, streifen einige Minarette und machen auch dem Schirwanschah-Palast unsere Aufwartung.
Außerhalb der engen Grenzen der Altstadt ist es weniger verwinkelt, mehr repräsentativ; die Plätze wie der Fontänenplatz begeistern hier. In nahezu sämtlichen Straßen um diese Plätze herum werden die Fassaden erneuert. Nichts soll mehr an die Fremdherrschaft durch die UdSSR erinnern, am liebsten heute als morgen, so das erklärte Ziel des auf Plakaten omnipräsenten Präsidenten. Das Zentrum der Macht, der Regierungspalast aus der Stalinzeit, steht allerdings weithin sichtbar weiterhin nunmehr am Platz der Freiheit, früher Leninplatz. Von da geht’s zum Bulvar, an welchem ein ausrangierter Ölbohrturm steht, quasi als Erinnerung, wem und was Baku den hohen Lebensstandart zu verdanken hat. Die Preise hier liegen ungefähr auf deutschem Niveau; sehr preiswert ist allein die Metro, dafür aber gibt es keine Hotels in der Mittelklasse. Dafür wird der ohnehin schon schöne Bulvar noch weiter aufgemotzt, wahrscheinlich wird man dort bald überall über Marmor laufen oder so. Irgendwo muss ja das Erdölgeld hin.
Trotz allem: viele Gehwege haben erschreckend große Löcher, die überall stehenden Baugerüste sehen arg windschief aus und wenn man die Arbeiter da barfuss oder in Badelatschen drauf rumklettern sieht, kann einem schon mal ganz anders werden.
Manches wirkt improvisierter bzw. chaotischer. Wir sind, das wird immer wieder klar, in einem anderen Kulturkreis, einem Kulturkreis mit südeuropäisch-orientalischen Einflüssen. Das macht es aber nicht weniger reizvoll; Beispiel Verkehr: nachdem wir uns dran gewöhnt haben, ist es ein sehr spaßiges Schauspiel. Ob drei, vier oder mehr Spuren interessiert nicht, die Spuren werden bedarfsweise genutzt, und dementsprechend gehört ein wenig Courage zum Überqueren der Straßen.
Am Fontänenplatz, der besonders abends mit eingeschalteten und angeleuchteten Springbrunnen gefällt, ist das Literaturmuseum mit anhängendem Buchladen, der unsere lange Suche nach Postkarten endlich beendet. Nein, eine Touristenhochburg ist Baku nicht; Hotels im mittleren Segment und ein weiteres untrügliches Zeichen für Tourismus, Stände mit Postkarten an jeder zweiten Ecke, fehlen. Darüber hinaus scheint es nur ein Standartset zu geben, so dass ein und dasselbe Motiv mittlerweile hundertfach unterwegs nach Deutschland sein dürfte.
Ein Stück des Weges hinauf zur Aussichtsplattform unterhalb der Märtyrerallee können wir am Bulvar und Kaspischen Meer entlang laufen. Später wird das Laufen anstrengender, die Zahnradbahn, die den Großteil des Weges hinauffährt, ist natürlich kaputt. Dafür werden wir aber mit einem feinen Blick auf die Bucht von Baku belohnt.
Am Tag des Spiels klettern die Temperaturen in weniger erträgliche Höhen, sodass wir froh sind, unser touristisches Programm abgearbeitet zu haben. Im Youth House bieten sie uns an, unsere Sachen dazulassen und uns nach dem Spiel auf die Terrasse zu setzen, um die Zeit bis zum Abflug in den frühen Morgenstunden zu überbrücken. Wie gesagt, die Gastfreundschaft hier ist geradezu sensationell. Zunächst aber suchen wir den alten Basar, nicht wirklich spannend ist er, dafür aber das Abhängen im Schatten und das zu beobachtende Schauspiel; ein Traum für jede Hygieneaufsicht. Frischfleisch muss ja nicht immer in Kühlautos angeliefert werden, man kann es auch auf dem Rücksitz eines Taxis anliefern… Umladen in praller Sonne auf einen rotten Pritschenwagen. Hygiene und Sauberkeit haben einen anderen Stellenwert als in heimischen Gefilden, wie wir feststellen. Ein letztes Mal auf dieser Reise wird uns dies eindrucksvoll im Stadion begegnen. Ein Klo zu finden ist die erste Herausforderung in dem 30.000er-Rund, dies dann aber auch noch zu nutzen ist die weitaus höhere. Diese war uns denn doch ein wenig zu hoch. Weit später finden wir etwas, mit dem wir leben können.
Nach drei intensiven, interessanten und anstrengenden Tagen stehen wir also vor dem Tofiq Bəhramov Adina Respublika Stadionu und schauen dem Treiben zu. Später wird kurz das denkwürdige Denkmal vor dem Stadion fotografiert, denn Tofiq Bəhramov ist der Linienrichter, der 1966 den Ball zum 3:2 für England drin gesehen hat. Das Denkmal ist ein Geschenk der englischen Gemeinde in Baku: 2006 gestiftet, passend zur WM in Deutschland; Humor kann man den Engländern jedenfalls nicht absprechen.
Im Stadionrund treffen wir die restlichen Braunschweiger als wir auf der üblichen Stadionrunde unterwegs sind, um das Stadion abzulichten und vor allem den Flutlichtmasten unsere Hochachtung zu erweisen. Klingt jetzt kindisch oder pathetisch, aber wie lange wird es diese markanten Zeichen noch geben?
Über das Spiel kann man viel sagen, muss man aber nicht. Der Sieg geht in Ordnung, schön war er nicht. Aserbaidschan unter Berti Vogts bleibt weiter sieglos. Entgegen den Meldungen vom DFB war das Spiel nicht ausverkauft, es waren einige Plätze frei im Rund, das 1952 erbaut worden ist. Das erklärt einerseits den ausladenden Charakter, zuweilen auch mit der Bezeichnung „Ostschüssel“ versehen, andererseits erklärt es auch, warum hier noch an der einen oder andern Stelle der Sowjetstern zu sehen ist, obwohl ja der aktuelle Demokrator lieber heute als morgen alle Erinnerungen an die UdSSR beseitigt haben will. Nach dem glanzlosen 2:0 überbrücken wir die Zeit zunächst mit ein paar Bieren. Etwas später dann der Weg zum Youth House wo uns der Mitarbeiter des House noch die eine oder andere Auskunft zur Stadt und der Mentalität hier gibt. Unter anderem auch die, dass das Int. Youth House in einem der teuersten Wohngebiete Bakus liegt und es deswegen immer wieder mal Ärger mit den Anwohnern gibt. Zu diesen Stressfaktoren tragen wir nun definitiv nicht bei, auch als uns das Taxi um 4:00 abholt. Der Rest ist Flughafenroutine, wenngleich ich das Prozedere in Baku schon etwas sehr langwierig und in dieser Länge unnötig fand. Andererseits ist dadurch natürlich die Zeit des Wartens auf den Flieger sehr schnell rumgegangen. Eingeschlafen noch vor dem Abheben und aufgewacht kurz vor Ankunft Riga; ich kann mich wohl nicht beschweren. Der Rest ist ebenfalls nicht der Rede wert, gegen 17:00 sind wir wieder in BS.