Wie es so kommen kann: die sich selbst auferlegte Ankündigung, Stadt X oder Y zu besuchen, weil man aktuell in der Nähe wohnt, bekommt man aus vielen Gründen nicht hin. Soweit keine Sache. Mit der angekündigten Arbeitsplatzveränderung allerdings ändern sich die Voraussetzungen schlagartig.
Es macht halt einen Unterschied, ob man von Bochum aus nach Brügge bzw. Rotterdam fährt (ca. 300 km) oder von Braunschweig aus (ca. 600 km). Für Brügge ergibt sich am 18.02. ein Termin in der Euroleague. Ich bin mal wieder froh über die Stammtischexkursion der Historiker seinerzeit, denn so habe ich Brügge kennen gelernt und muss mich heut nicht ärgern. Heute ist für die City keine Zeit, obwohl ich das anders gedacht und berechnet habe. Also nur das Stadion umrunden, was ganz okay ist. Irgendwann ist das Spiel und das ist nicht spektakulär aber immerhin bemerkenswert. Der gesamte Unterring, obwohl komplett bestuhlt, verbringt stehend das Spiel. Selbstverständlich wird auch hinter dem Tor gestanden, von wo auch der Support immer wieder nach vorn getrieben wird, bereitwillig aber mindestens vom Unterring aufgenommen. Fahnen und son Gedöns fast gar nicht zu sehen, ebenso kein Capo; sehr englisch der Support, nur besser, weil fast durchgängig. Natürlich spielt das Spiel dem in die Karten, Brügge geht nicht als Favorit in die Partie gegen Valencia, bietet aber einen großen Kampf und geht letztlich verdient mit 1:0 in Führung. Valencia wirkt in der Spielanlage insgesamt reifer, kann aber dies aber nicht zählbar umsetzen und so gibt’s nach großem Fight der Heimmannschaft eine verdiente Niederlage. Im Rückspiel kann Valencia die 0:1-Hinspielniederlage erst in der Verlängerung umbiegen, aber das gehört ja schon nicht mehr zu dem heutigen Spiel. So habe ich dann endlich das Jan-Breydel-Stadion in meiner Sammlung. Ein klassisches Fußballstadion der alten Schule, welches seinen Charme genau deswegen entfaltet. Sogar offene Ecken, die ja neben der aussterbenden Spezies Flutlichtmasten auch immer seltener werden, sind hier noch zu begutachten. Immerhin kann man auch noch sagen, dass die Einbettung in das Wohnviertel gegeben ist, wenngleich ich dies in Belgien und England auch schon mal unmittelbarer gesehen habe; ein Bild indes, welches nicht mehr lang einzufangen sein dürfte, wenn sich der moderne Fußball so weiterentwickelt.
Die Rückfahrt ist zum Ende raus grenzwertig: gute 300 km mitten in der Nacht allein (das Spiel war ja erst um 23.00 zu Ende…) stellen mich auf den letzten Kilometern schon vor einen sichtbaren Kampf gegen die Götter des Schlafes.
Zwei Tage später rückt der Abschied aus der Ruhrmetropole Bochum, dem Revier und damit der den Niederlanden benachbarten Region noch näher. Und das ohne Rotterdam vorher einen Besuch abgestattet zu haben? Never! Die Energien werden auf das Derby gegen Den Haag gelegt. Doch zuvor will ich vergleichen; mein geschätzter Arbeitkollege Jürgen ist von Rotterdam nachhaltig beeindruckt und überzeugt, mehr sogar als von Amsterdam. Das will was heißen; hab ich doch Amsterdam erst im Spätsommer gesehen und war schon sehr angetan. Wie soll also Rotterdam dagegen anstinken?
Wusste ich auch nicht, bis ich dann da war. Was in Amsterdam die Grachten, die kleinen, schiefen Häuser, die Hausboote, dieses grüne, verschlafene, verkiffte, gemütliche Fahrradflair ist, ist in Rotterdam genau das Gegenteil. Das, was Amsterdam dem Touristen an Tradition oder Folklore bieten kann, ist genug für ein Wochenende oder mehr. Davon hat Rotterdam letztlich nichts, zuwenig ist von der Stadt auch übrig geblieben im Krieg. 1940 zerstörte die deutsche Luftwaffe das gesamte Stadtzentrum und ein amerikanischer Bombenangriff am 31. März 1943 fügte der Stadt weitere schwere Schäden zu. Daraufhin wurde ein kompletter Neubeginn beschlossen mit neuen Leitungen, Abwasserkanälen usw.
Im Stadtzentrum stehen von den alten Gebäuden nur noch die Laurenskerk (Laurentiuskirche) mit Erasmusdenkmal, das Rathaus (errichtet 1914-1920) und der Historisch Delfshaven.
Das Stadtbild in der Innenstadt erinnert also fast gar nicht mehr an die klassische alte Stadt. Es gibt einige moderne Hochhäuser. Markantes architektonisches Zeichen der Stadt sind die Kubushäuser, eine originelle Siedlung im Stadtteil Blaak von auf jeweils einer Spitze stehenden würfelförmigen Einzelhäusern.
Rotterdam hat sich nach dem Krieg neu entworfen und dafür nehme ich mir gern zwei Tage Zeit, die sich lohnen, denn sich in Ruhe auf Rotterdam einzulassen, ist sicher ein Gewinn. Rotterdam ist sicht- und spürbar eine moderne, dynamische, offene und architektonisch herausragende Stadt. Marken- oder Wahrzeichen ist die Mitte der 90er Jahre fertiggestellte Erasmus-Brücke. Ist mittlerweile die wichtigste Verbindung zur Innenstadt.
Auffällig ist, dass es hier auf den Straßen und Plätzen deutlich ruhig ist zu späterer Stunde. Stört mich nicht, im Gegenteil, aber es fällt auf. Am nächsten Tag hole ich mein Ticket bei Jürgens Sohn ab, der seit geraumer Zeit hier lebt und mir bei der Ticketorgie behilflich war. Holland hat ja immer noch diese Fanclubcardgeschichte und bei einem solchen Derby erst recht. Er lässt es sich nicht nehmen, mich zum Kuip zu fahren, damit mein Auto in Ruhe irgendwo abseits der City stehen kann.
Wenig später beginnt ein magischer Moment: Sicher sah der Kuip 1974 etwas anders aus. Seither ist dieses Stadion aber im Kern so geblieben, es ist ein ein Stadion geblieben, kein Neubau, kein charakterverändernder Umbau. Nach vielen Jahren betrete ich also den Ground, der 1974 deutlich mehr als 5.000 Zuschauer verdient gehabt hätte, aber es waren politisch andere Zeiten. Für Ostmannschaften interessierte sich nicht wirklich jemand, Reisekader durften nur handverlesen reisen und zudem gingen alle von einem langweiligen klaren Sieg des AC Mailand aus. Unglaublich prickelnd im Vorfeld… Okay, das schwingt nur für mich heute mit, für keinen anderen, aber das macht es für mich, spätestens als ich den Innenraum betrete, denn doch für eine gewisse Zeit sehr eigen. Ich genieße es.
Feyenoord spielt sein Derby gegen ADO Den Haag aus, in dem sie lange Zeit nicht wirklich überzeugen können, aber irgendwann doch 2:1 führen. Der Support ist mäßig, letztlich geht von Heimseite erst wirklich was, als das 2:1 gefallen ist und das ist schon weit in der zweiten Halbzeit. Und dann gibt es noch diesen einen Moment, den Heimfans hassen, Auswärtsfans aber umso mehr lieben. Nachspielzeit, Standartsituation vor dem eigenen Tor, hinter sich der Auswärtsmob. Und das Tor fällt tatsächlich. Mal ehrlich, ich habe nichts mit Den Haag zu tun, aber diese letzte Aktion war einfach geil. Gut, das hab ich denn nicht jedem Umstehenden erzählt. Jürgens Sohn holt mich auch wieder ab, nur ist der Abreiseverkehr zäher, als wir uns das vorstellen. Allerdings sind wir mit Zeit und Geduld ausgestattet, so dass wir dies locker meistern. Danach geht es zurück nach Bochum.