Drei Tage – drei Länder ist unser Vorhaben. Die einen nennen es verrückt und schauen irritiert wie meine Kollegen und Kolleginnen, die anderen (also wir) nennen es kultig, natürlich auch, um nicht tiefer über die Sinnhaftigkeit solcher Unternehmungen nachdenken zu müssen.
Wie auch immer, von Bremen aus bringt uns der altbekannte Inselflieger nach London, dort Umstieg in den Zug und ab geht’s nach Wales, genauer Swansea. Swansea City ist das Ziel, 1983 Gegner des 1. FC Magdeburg im Europapokal der Pokalsieger. Und da ich keine Lust habe, mir alles zu diesem Teil der Tour noch einmal neu auszudenken, kommt dann hier der lesenswerte Text von Robin zum Einsatz, den er im Anschluss an die Tour für Abseits geschrieben hat:
„Es ist gut zehn Jahre her, da wären […] höchstens Hardcore-Groundhopper auf die Idee gekommen, ans Südende Wales zu reisen und den damaligen Viertligisten zu besuchen. Dieser dümpelte am Ende der Tabelle, drohte in die völlige Bedeutungslosigkeit zu versinken und stand nach undurchsichtiger Gebaren des Australischen Besitzers auch finanziell vor dem Ruin. Als dieser schließlich abdankte, bildete sich ein Fankonsortium, welche ihren Verein nicht kommentarlos von der Landkarte verschwinden lassen wollte. Doch wie es nun mal im Fußball ist – ohne Geld geht es nicht und so erinnerte sich der damalige Vorsitzende der Supporters-Vereinigung unter anderem an seinen alten, niederländischen Brieffreund John van Zweden. Diesen hatte er im Rahmen einer schulischen Sprachverbesserung zugeteilt bekommen, mittlerweile hatte van Zweden gutes Geld mit der Herstellung von Gardinen erwirtschaftet. Zumindest so viel, dass er 50.000 Euro in Swansea investierte – übrigens ohne das Wissen seiner Frau.
Ein fußballromatischer Akt, der durch den nun einsetzenden Erfolg der „Schwäne“ zur Legende werden sollte: Swansea schoss sich als erstes walisisches Team in die englische Premierleague, wo es unlängst sogar den Scheich-Verein Manchester City bezwang. Van Zweden ist mittlerweile einer der Direktoren und der Verein so etwas wie der stimmungsvolle Kultklub der Liga, was den Besuch spätestens rechtfertigen sollte. Doch damit nicht genug: Da man für die Reise am Wochenende ein kleines Gastgeschenk mitgebracht hatte, nahm sich der Niederländer gut zwanzig Minuten vor (!) dem Spiel sogar spontan die Zeit, sich mit den angereisten Deutschen über Gott und die Welt zu unterhalten. Und das ohne verbindlichen Termin, einfach auf Nachfrage beim Ordner, „wo denn John sei“. Eine verrückte Anekdote in einer Welt, in welcher die Millionen regieren und der Fußball stetig unpersönlicher wird.
Das Spiel gegen Norwich City ging übrigens zwar mit 3:4 verloren und Torhüter Gerhard Tremmel sah nicht immer wirklich sicher aus. Langfristig äußerte van Zweden aber einen Traum, der ihn mit den Fans auch in Braunschweig gut verbinden sollte: Europapokal …“
Zu erwähnen bleibt noch, dass die Stewards, die anderswo auf der Insel ja auch sehr unerbittlich nahezu alles zu unterbinden suchen, hier extrem entspannt waren und ein für Premier-League-Verhältnisse großer Bereich stehend durchsupportete.
Nach dem Spiel retour nach Stansted, wo am nächsten Morgen der Flieger nach Weeze gehen sollte. Ich hätte nun wirklich nicht gedacht, dass ich nach den Erfahrungen in Baku noch einmal eine solche Schlafgelegenheit wahrnehmen würde, aber wie will man sonst die Nacht halbwegs rumkriegen und vor allem keine zweite Nacht am Stück ohne Schlaf bleiben? Da muss dann auch mal ein gefühlt fünf cm breiter Heizkörper herhalten.
Irgendwie schließt sich das Wetter in NRW nahtlos daran an. Nasskalt ist es in der Niederrheingegend, der Zug gnadenlos überfüllt, aber immerhin kann der zunehmend verzweifelter werdende Zugführer sehr zur Erheiterung beitragen. Venlo wird rechtzeitig erreicht, das Wetter ist immer noch beschissen oder ist es sogar noch schlechter geworden, ich bin genervt, obwohl ich das De Koel von Venlo eigentlich sehr mag. Wie auch immer, der VVV Venlo wird von mir nun das dritte Mal gekreuzt, aber es gab auch keine nennenswerten Alternativen.
Abends Übernachten bei Thilo und dann wartet am Montag unser Rückrundenauftakt beim 1. FC Köln. Montags könnt ich kotzen, auch wenn wir uns hier ein feines Rahmenprogramm zusammengestellt haben. Aber – und das ist das Entscheidende – diese beschissenen Spieltermine der 2. Liga haben schon so manchen Urlaubstag gekostet, insbesondere in der Vorsaison, als wir in der gesamten Vorrunde lediglich ein Auswärtsspiel an einem Wochenende haben.
Trotzdem wird uns heute Besonderes wiederfahren und dem geneigten Kölner Anhang ebenso:-). Ein intensives Spiel steht – insgesamt gerecht – in den 80er Minuten 1:1. Es wurde viel geboten bisher, ein Traumtor von Kumbela, Pfostenschüsse und einen Elfmeter, den Pfitze allerdings so kläglich vergibt, dass es mir schon fast peinlich ist, dass ich mich an diesen Elfer erinnere. Und dennoch kommt eine Steigerung in das Spiel, die alles davor Gewesene quasi vergessen machen wird.
Ujah in der 88. Minute mit dem Kopf, Köln dreht durch und einige Kölner in der Nähe des Braunschweiger Blocks kriegen sich gar nicht mehr ein, der Kölner hat es ja schon immer gewusst, jetzt geht es der Provinz an den Kragen und Köln wird doch noch aufsteigen, Köln gehört ja in die 1. Liga und wer ist überhaupt dieses Braunschweig. Und genau drei Minuten später wird dieses Bild schockgefroren, es ist einfach geil, sich diese Kölner in dieser Situation immer und immer wieder anzuschauen. Wie kann diese Provinz, wie gegen den großen FC Köln, gegen den 1.-Ligisten, gegen die, die doch gerade das Siegtor… Unfassbare Stimmung im Block, sämtliche hämische Gesten von vor drei Minuten werden in gestreckte Mittelfinger gewandelt, als Ermin triumphierend zur Eckfahne läuft.
In dem Moment wird klar, was 2013 auch bedeuten wird: Köln – 2. Liga, Eintracht – 1. Liga. In diesen drei Minuten steckt so unendlich viel und ich bin immer noch überglücklich, livehaftig ein Teil dieser drei Minuten gewesen sein zu dürfen.
Anschließend, und dafür bin ich ihm sehr dankbar, zeigt der Fußball mit überwältigender Klarheit seine enorme Kraft, seine positive, emotionale, versöhnliche Kraft. Schlechtes Wetter des Wochenendes, Wirrnisse des Tages, Irritationen, Meinungsunterschiede oder Missverständnisse treten gleichsam zurück und werden zurecht auf den Moment reduziert und bleiben dort. Die einzigen Kräfte, die zählen, sind der Fußball und seine Strahlkraft. Stahlharte blau-gelbe Strahlkraft.
Großen Dank an Robin für die Bilder!