Die vorletzte Tour des ereignisreichen Jahres 2013 geht mit Afrika auf einen in meiner Sammlung neuen Kontinent. Über Sinn und Unsinn der Klubfußball-Weltmeisterschaft kann man sich trefflich streiten, dennoch nutzen Robin und ich die Gelegenheit, denn mit Marokko liegt sie ja quasi vor der Haustür.
Zunächst geht es nach Augsburg. Es wird ein bitteres Gastspiel unseres BTSV dort. Augsburg zeigt uns klar die Grenzen auf und die bisher so starke Einigkeit unter den Fans zeigt an diesem Tag Risse. Zum Glück sind diese nicht von Dauer, letztlich musste jeder seinen Weg finden, mit diesem bitteren 1:4 umzugehen.
Robin und ich verarbeiten das im Brauhaus 1516 am Augsburger Bahnhof. Durchaus konsequent und erfolgreich, wie uns Willi und Leo später gern bestätigen. Aber den Nachtzug bekommen wir und das ist einzig wichtig. Die letzten Stunden werden irgendwie auf dem Flughafen Weeze rumgebracht, so früh geht der Flieger nach Fes leider nicht.
Egal, gegen Abend sind wir im Hotel, laufen dann noch ein wenig durch die Stadt. Nahrungsaufnahme, dann noch einen Absacker im Hotel und schon ist der Tag auch rum. Solche Flughafentage nerven schon ein bisschen und sind nicht unanstrengend, letztlich haben wir aufgrund der Flugzeit einen Tag lang nichts anderes als Zeit totgeschlagen.
So gesehen beginnt das Abenteuer Marokko also erst am nächsten Tag richtig. Mit dem Zug geht es nach Casablanca. Vier Stunden zieht in einem engen und vollen Abteil die Landschaft an uns vorüber, vier Stunden schauen uns v.a. Marokkanerinnen wahrscheinlich zu Recht irritiert an, dass wir die zweite der ersten Klasse vorziehen. Aber so haben wir es nunmal gewollt und letztlich war es ja auch okay.
Weniger okay dann Casablanca. Was für ein Name! Zauber, Mythos, Exotik, Humphrey Bogart, Ingrid Bergmann, Hassan-II.-Moschee. Was sich uns dann allerdings präsentiert ist genau diesen einen Tag wert, mehr nicht. Und eigentlich hätte es den auch gar nicht gebraucht. Denn wir wollten hier vor allem unsere Tickets einsammeln. Hat die FIFA natürlich nicht geschafft. War ja klar, Dreckspack.
Für uns schließt sich ein langer Gang am Meer, am Strand an, der uns nachhaltig irritiert. Nicht überall kann ein Urlauber-Strandparadies entstehen, schon klar und auch gut so, dieses künstliche Aufschütten von Küstenabschnitten sehe ich sehr kritisch. Wie hier aber ein ganzer Küstenstreifen weggeschenkt wird, ist schon überraschend. Manche Ecken erinnern eher an Müllhalden. Ein Highlight kommt dann doch noch, die Hassan-II.-Moschee. Ziemlich gewaltig ist das Dingen, soll mit 210 Metern das höchste Minarett der Welt haben und die fünftgrößte Moschee der Welt sein. Der Höhepunkt des Tages, denn die Häuserfronten, die wir dann entlanglaufen zum Hotel sind auch eher beliebig, ich hatte anderes erwartet insgesamt.
Es geht also weiter, zunächst mit dem Zug nach Marrakesch, um dort umzusteigen in den Bus, der uns durch eher karge Teile des Atlas nach Agadir bringt. Hier ändert sich schlagartig das Bild je näher es zum Strand geht. Agaidr will Touristen, Agadir braucht Touristen und so darf hier auch öffentlich Alkohol getrunken werden, zumindest am Strand. Im übrigen Land nicht angesagt. Agadir ist jetzt nicht so enttäuschend wie Casablanca, aber hier hatten wir ja auch keine Erwartungshaltung. Bis auf das Strandviertel und den riesigen Markt bleibt nichts nachhaltig in Erinnerung. Und das Strandviertel hätte auch in jeder anderen Mittelmeerstadt sein können. Hier kriegen wir dann übrigens auch unsere Tickets, auch wenn nicht ganz klar wird, ob die Händler hier ihre eigenen Karten verkaufen oder die der FIFA. Kartenverkauf in der Tradition der Jack-Warner-Deals. Uns ist es aber trotzdem ein Bier wert vor Mittelmeerstrandkulisse.
Es ist genau der richtige Moment der Ruhe, die Hektik des Abends wird uns wenig später dafür Recht geben. Wir nehmen, als es zum Spiel Guangzhou Evergrande FC – Bayern geht, ein Taxi. Erläuterungen zum Modus sind hier überflüssig, der ist einfach nur absurd, eben wie dieses Turnier. Wahrscheinlich sind wir genau deswegen hier.
Taxi also, es geht leidlich voran, wäre aber mit keinem anderen Verkehrsmittel schneller gegangen. Um das Stadion dann nur noch Chaos. Null Verkehrsfluss. Fahrer sehr entspannt, nur wir nicht, bisschen vom Spiel wollen wir denn doch sehen, auch wenn ich Bayern nun überhaupt nicht brauche, aber die sind nun mal in diesem Spiel. Tritt aber eh schnell in den Hintergrund. Wir zahlen das Taxi und beschließen, querfeldein dem Flutlicht zu folgen. Fast überall eine großartige Idee, hier eher halsbrecherisch.
Wahrscheinlich sollten wir froh sein, unseren Weg in der Dunkelheit nicht wirklich gesehen zu haben. Ansonsten hätte uns das Areal wohl an eine Müll- oder Abraumhalde erinnert mit entsprechender Stolpergefahr. Den Esel, dem Robin plötzlich gegenüber steht, habe ich nicht gesehen, dafür lande ich genau auf dem Weg, den die Polizei gerade absperren will, um Leute ohne Ticket vom Stadion fernzuhalten. Und für dieses Vorgehen an diesem Abend wurde das Wort rustikal erfunden.
Passt dann aber doch alles und so stehe ich vor dem Stadion, sogar vor ‚meinem‘ Tor. Leider so gar nicht allein. Eingeklemmt. Kein vor. Kein zurück. Und ein Haufen Marokkaner um mich rum, die auch ins Stadion wollen. Und alle wunderbar hektisch und aufgeregt am Diskutieren. Bewegung null. Wenn aber auch nicht alle Einlasstore offen sind, was soll man erwarten.
Aber ich schaffe es denn doch, das Spiel läuft bereits, ist aber auch irgendwie fast egal, wir genießen nach dieser Hektik die vergleichsweise Ruhe im weiten Rund. Wenig überraschend gewinnt Bayern 3:0 vor 27.311 Zuschauern. Es ist der 17.12.13.
Tags drauf geht es mit dem Bus retour. Karge Wüstenlandschaft begleitet uns. Mittags sind wir in Marrakesch und können in den verbleibenden Stunden bis zum Halbfinalspiel eine spannende und sehr lebendige Stadt kennenlernen. Da Raja Casablanca im Halbfinale gegen Atletico Mineiro steht, sind hier ohne Ende Raja-Leute unterwegs. Das Bild insbesondere um den Freiheitsplatz herum ist äußerst lebendig. Hupkonzerte allenthalben, klar. Aber auch eine bunte Mischung aus Fortbewegungsmitteln vom Eselskarren über Mopeds bis hin zu Lieferwagen, die im Überschwang der Euphorie vollbesetzt mit grüngekleideten Marokkanern sind. Alle fiebern dem Abend entgegen. Wir auch, wir sind vor allem gespannt auf Stadion und Kulisse. Doch zunächst wartet noch Marrakesch.
Vorbei geht’s am lebendigen Freiheitsplatz zur Stadtmauer. Rechts sieht man den Turm der Koutoubia-Moschee. Den heben wir uns für später auf, wir wollen zunächst zum Palast El Badiî. Der ist leider heute nicht zugänglich, also geht’s direkt zum legendären Djemaa el-Fna. Wir wollen uns davon überzeugen, dass es nicht einfach nur ein Basar ist, sondern der Platz aus Tausendundeiner Nacht mit Schlangenbeschwörern, Geschichtenerzählern, Händlern und allem, was man sich so vorstellt, wenn man die Augen schließt und an einen orientalischen Basar denkt. Und doch ist der Djemaa mehr, er ist Marktplatz, Verlängerung des Basars, Basar, touristisches Highlight und Anziehungsplatz für Einheimische in einem. Früher Platz der Geköpften, seit Jahrhunderten Markt unter freiem Himmel und von Touristen und Einheimischen gleichermaßen belagert.
Der Markt ist das beherrschende Zentrum, aber auch der Rest kann sich sehen lassen. Und das liegt nicht nur daran, dass wir hier mitten im nassgraukalten Dezember Sonne satt genießen können. Wahrscheinlich einer der Hauptgründe, warum diese Klub-WM in Marokko ist, bei der FIFA an entsprechende Geldflüsse zu glauben ist ja in Zeiten von Blatter selbstverständlich abwegig. Hier können sich die FIFA-Bonzen schön die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, das sollten die vielleicht sogar hinbekommen, das mit den Karten hat ja schon mal auffallend schlecht funktioniert.
Unsere Taxifahrt zum Stadion raus ist dann abenteuerlich und lustig zugleich. Kurzerhand lädt unser Fahrer noch zwei weitere Mitfahrer ein, woher die nun genau kamen und woher er die kannte keine Ahnung. Scheinen sich irgendwie alle zu kennen hier, so unser Eindruck. Mit den Mitfahrern unterhält er sich ganz angeregt, gleichzeitig telefoniert er auf seinen zwei Handys, während er uns erklärt, dass die Hauptstrecke zum Stadion dicht sei und er jetzt einen Umweg fahre. Dass er bei so viel Kommunikation noch lenken kann überrascht und beeindruckt.
Als dann gar nichts mehr geht, stellen wir auch hier auf Fußweg um. Immerhin ist es nicht so chaotisch wie in Agadir, es sind halt sehr viel Menschen unterwegs und dementsprechend dauert es ein bisschen, bis wir im Stadion sind. Das besticht durch eine strenge Kastenbauweise. Von außen gesehen kann es auch ein überdimensionierter brauner Schuhkarton sein, so klar und eckig ist das Ding. Diese Formensprache setzt sich mit beeindruckender Konsequenz im Innern fort, so dass die bestehende Laufbahn eher überrascht und aus dem Bild fällt ebenso wie ich Flutlichttürme hier auch nicht wirklich erwartet hätte.
Im 2. Halbfinale stehen sich Raja Casablanca und Atletico Mineiro vor 35.219 Zuschauern gegenüber. Und sehr zur Freude der Mehrzahl der Zuschauer gewinnt Raja leidenschaftlich 3:1.
Frühstück noch und Transfer zum Flughafen und damit geht der kurze und intensive Ausflug nach Marokko auch zu Ende.