Trainingslager in England. Seit wie vielen Jahren einen Traum, den wir schon immer mit Eintracht träumen? Und nun will es der 1. FC Magdeburg wagen. Goldi und ich sind Feuer und Flamme.
Was für Geschichten verbinden sich mit England. Europapokal, Uwe Rösler, Manchester City, AFC Wrexham, Swansea City, Arsenal London. Da werden Erinnerungen an ganz große Europapokalabende wach. Erinnerungen an das Ernst-Grube-Stadion, Erinnerungen an das Heinrich-Germer-Stadion. Und an Uwe Rösler. Den Durchbruch schaffte er beim 1. FC Magdeburg, fast wäre der Club mit ihm Meister geworden. Später – als ManCity noch cool war – war er der zweite Deutsche nach Bert Trautmann bei ManCity und wurde zur Legende dort, mittlerweile ist die Insel seine Heimat. Mit seiner Spielweise passte er wie kein Zweiter auf die Insel.
All das schwingt mit bei diesem Trip, all das macht ihn für mich so besonders, so einzigartig. Zudem spielen an dem Wochenende die Vereine auf der Insel, es ist FA Cup, die Ligen spielen. Wir haben also ein buntes Programm vor uns.
Es erhält nur leider im Vorfeld einen Dämpfer, als die englische Polizei das geplante Spiel von Fleetwood Town gegen den FCM absagt. Obwohl – oder gerade deswegen? – im Vorfeld bereits 500 (!) Karten verkauft worden sind.
Der Zeitpunkt im Dezember ist schon sehr verwunderlich, immerhin waren die Rahmendaten seit Oktober bekannt. Und immerhin ist Fleetwood der aktuelle Verein von Rösler. Aber das ist ja nur meine emotionale Sicht. Wir stricken uns auch so ein buntes Programm u.a. auch mit der walisischen Liga.
Nach deutlich zu kurzer Nacht und ungewollten Komplikationen nehmen wir unseren Mietwagen in Empfang. Ab ins Hotel und ein bisschen Schlaf nachholen. Aufwachen ist dann mit der nächsten Hiobsbotschaft hinsichtlich des Trainingslagers verbunden. Das zweite Spiel, das gegen die Bolton Wanderers, steht mehr als auf der Kippe. Witterungsbedingt heißt es. Die Trainingsplätze der Bolton Wanderers sind gesperrt und damit das Trainingslager in dieser Form für den Club nicht mehr möglich.
Erinnerungen an das Trainingslager Fulpmes werden wach.
Für mich ergibt sich die verheerende Trainingslagerbilanz von zwei Trainingslagern mit drei möglichen Spielen und drei Absagen. Trainingslager und ich, zeitlich hat es ja eh nie gepasst, ich glaub ich lass das in Zukunft einfach.
Kurze Alternativen werden durchdacht, aber erstmal kommt das Naheliegende, Frustbewältigung durch Fußball. Prestatyn Town FC spielt gegen The New Saints in der Welsh Premier League. 216 Zuschauer sehen am 5. Januar ein 1:4 (0:1). Ein eigentlich unscheinbarer Ground wird durch die Kleinigkeiten drumherum zu einem spannenden Ziel.
Wir sind unmittelbar am Spielgeschehen, sehen und hören, was sich Trainer, Spieler und 4. Offizieller gegenseitig teilweise sehr gestenreich so zu erzählen haben. Sehr lustig. Das Spiel ist wie erwartet ein britischer Fight. Viele Grätschen, immer hart am Mann. Und der Platz ist ein Traum. Nichts ist wirklich schön an ihm, aber er atmet die Würde eines britischen Fußballplatzes der unteren Ligen. Er ist von dieser erhabenen Schlichtheit unterklassigen Fußballs. Manches ist improvisiert, manches einfach nebeneinander gewachsen; und es schert sich nicht drum, ob es wirklich zusammen passt. Und dann ist da noch der Platz selber, dem – ohnehin nicht in bestem Zustand – auch noch der Regen vergangener Tage zugesetzt hat. Hinreißend vom Flutlicht in Szene gesetzt.
Am nächsten Tag (6.1.) fällt unsere Wahl auf Aston Villa. Zuerst wollen wir im NLZ die U18 von Aston Villa schauen. Gar nicht so einfach. Wir stehen auf keiner Liste, sind keine Eltern. No way. Wir scheitern an der Schranke zum NLZ. Nur mit viel freundlicher und geduldiger Überredungskunst und mit einer unterstützenden Idee von Goldi kommen wir rein, kritisch und ein bissel überrascht beäugt. Hier gibt es nur Spieler, Offizielle und Eltern. Und uns. Ein bisschen kann ich schon verstehen, dass uns da keiner reinlassen will. Das ist eine Anlage, in der sichtbar Geld steckt, richtig viel sogar. Die Halle und der Fuhrpark für de Greenkeeper allein nehmen schon mehr Platz ein als unsere Gebäude auf dem NLZ. Womit ich das, was wir haben, keineswegs geringschätzen will, wir sind halt einfach noch nicht so weit.
Offensichtlich will man sich nicht die Talente früh wegschnappen lassen und lässt sich eben nicht in die Karten schauen. Nur so können wir uns das Zögern beim Einlass erklären. Aber wie geschrieben, wir sind drin und schauen das U-18-Spiel. Aston Villa verliert gegen Arsenal London 0:2 (0:0).
Nächste Station ist der Villa Park mit FA-Cup. Ein altehrwürdiges Stadion, seit 1897 am diesem Platz und für 42.000 Zuschauer ausgelegt. Allerdings kommen nur eher enttäuschende 21.677 Zuschauer. Zweite gegen dritte Liga ist angesagt. Aston Villa FC spielt gegen Peterborough United FC. Einer spontanen Idee folgend holen wir Karten für den Away-Block, 5.000 sind aus Peterborough angereist. Die legen einen Klassesupport hin. Nach frühem Rückstand, mit dem es auch in die Pause geht, fährt Borough insbesondere in der zweiten Halbzeit einen Angriff nach dem anderen und gewinnt völlig verdient 3:1, frenetisch gefeiert von den mitgereisten Fans. Ganz offensichtlich hatten wir das richtige Näschen bei Zusammenstellung der Tagestour und Kauf der Karten.
Für den Sonntag war nach der Absage des Tests bei Fleetwood recht schnell klar, dass es nur United of Manchester heißen kann. Wir schlendern ein bissel in der Stadt herum, aber es bestätigt sich der Eindruck der Tage zuvor. Manchester gibt uns so gar nichts. Alte Industriestadt mit null Highlights. Der Albert Place taugt nicht, die Kathedrale hätte vlt ein bissel taugen können, aber der Turm ist eingerüstet. Da sind die Tavernen nebenan schon fast eher Hingucker. Hinzu kommen die extrem vielen Obdachlosen. 3.000 sind es. Ein soziales Problem, das wir nicht lösen können. Aber eben auch auffällig im Stadtbild ist.
Also raus zum Broadhurst Park. Der FC United of Manchester spielt gegen Southport FC. Seit der Gründung 2005 in Ablehnung zu den Gebaren von Malcolm Glazer bei Manchester United ist der der FCUM einen langen Weg gegangen, u.a. mit Bau eines eigenen Stadions 2015. Und hier ist wirklich vieles anders. Der Verein ist nach wie vor in Händen der Fans, der Fanshop wird von Fans betrieben, dementsprechend öffnet er auch erst kurz vor und kurz nach dem Spiel. Das Bier darf mit auf die Ränge genommen werden, in den ersten vier Ligen Englands undenkbar. Und es wird dauerhaft supportet, vor allem, was diesen sogenannten spielbezogenen Support betrifft. Manche meinen ihn ja in Deutschland ausgestorben zu sehen. Dass es ihn noch gibt, haben wir auf dieser Tour gehört, insbesondere heute. Der Support heut macht Spaß und die Mannschaft macht Spaß. Sie haut sich rein für FCUM, kein Weg zu weit, keine Grätsche zu unwürdig, kein Zweikampf nicht wert geführt zu werden.
Es geht gar nicht so sehr darum, diesem definitiv unterstützenswerten Projekt seine Aufwartung zu machen, das wollen die Fans von FCUM auch gar nicht, die wollen respektiert werden, so wie sie sind. Es geht darum, dass wir heute gesehen haben, wie der Fußball, wenn er wieder zurückkehrt zu den Wurzeln oder wenn er bei den Wurzeln bleibt, funktionieren kann. Das ist schön, das macht Spaß und das macht mich glücklich. Denn Fußball funktioniert noch außerhalb dieser Milliardenblase, Fußball kann weiterhin mit Leben gefüllt werden und Fußball braucht kein Hochglanz. All das war heute zu sehen.
Der 8.1. steht an und und nach Absage des Trainingslagers wurde entschieden, dass der Club in der Heimat trainiert, um dann eigens für dieses Spiel auf die Insel zu fliegen. Vor allem für die Fans.
Nach dem ganzen Hin und Her dürfte klar sein, dass FCM nicht noch einmal ein Trainingslager in England abhalten wird und auch Eintracht wird es sich nun noch genauer überlegen. Ein England-Trainingslager, das ist abzusehen, wird es für uns auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Es wird also ein historischer Moment.
Und auch wenn es vielleicht kitschig klingt, es wird das erwartete Europapokalfeeling. Spätestens als man sich im Beehive trifft und gemeinsam zum Stadion geht. Zuerst wird die Hotellobby des Hotels im Stadion eingenommen, natürlich mit dem Effekt, dass binnen kürzester Zeit das erste Fass alle ist.
Und dann geht es ins Stadion, zusammen mit 1.500 Magdeburgern zu diesem Testspiel. Da Bolton das Spiel nicht beworben hat, sind auf der Heimseite keine Zuschauer. Oder es sind keine zugelassen? Im Moment völlig egal. Über den sportlichen Wert kann man sich streiten, was aber viel wichtiger ist, ist das Erlebnis. Für die Mannschaft. Für die Fans. Für alle. Ein solches Erlebnis kann den Zusammenhalt eigentlich nur steigern. Natürlich Dauersupport, natürlich ein bissel Pyro, natürlich Gänsehaut. Es ist ein einmaliger Moment, 1.500 bei einem Testspiel auf der Insel, die 90 Minuten supporten. In einem Testspiel. Es ist ein Support voller Lust, voller Inbrunst, voller Emotionalität. Und auch die Ironie kommt nicht zu kurz:-)
Von den vielen Berichten in den folgenden Tagen hier nur ein paar zusammengestellt:
Videos:
Um die Bedeutung des Spiels für viele der Fans zu verstehen, um zu verstehen, warum das Wort Europapokal geradezu inflationär die Runde machte, um zu verstehen, warum so viele Fans gefahren sind und auch noch in Wrexham vorbeischauten, hilft ein Blick in die Geschichte. Der englische Fußball war seit jeher hoch angesehen in der DDR, jede Europapokal-Begegnung mit einem englischen Klub, mit einem Klub aus dem Mutterland des Fußballs, wurde zu einer besonderen. U.a. ja auch die Begegnungen mit dem AFC Wrexham.
Nun stand den Auswärtsspielen aber die in der DDR nicht vorhandene Reisefreiheit entgegen. Und nichts ist schöner, als gerade in einem Cupspiel, wenn es um alles geht, seine Mannschaft vor Ort zu unterstützen. Unmöglich in der DDR, unmöglich für die Club-Fans. Sicher, nach der Wende haben viele den englischen Fußball live gesehen, Verpasstes nachgeholt. Aber verglichen mit einem Spiel der eigenen Mannschaft ist das alles nur ein laues Methadonprogramm.
Zudem, und so realistisch ist wohl jeder, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass der 1. FC Magdeburg noch einmal im Europapokal spielt, die Zeiten mit 8 EC-I-Spielen, 36 EC-II-Spielen und 28 EC-III-Spielen dürften vorerst vorbei sein. Knapp die Hälfte der Spiele wurde gewonnen. Bitter halt, dass Europapokal, wenn es auswärts war, immer nur eine Fernsehveranstaltung war, wenn er überhaupt übertragen wurde. Und wie bitter auch, in der Stunde des größten Triumphes des Clubs, dem Europapokalsieg im Cup der Pokalsieger 1974, nicht nach Rotterdam in den Kuip gedurft zu haben.
Für mich kommt hinzu, dass es beruflich bisher zu kaum einem Trainingslager zeitlich passen wollte, was in diesem Jahr anders ist.
Das alles schwingt hier mit und bricht sich heute Bahn. Ein Augenblick zum Genießen und für die Ewigkeit. Sehr sehr coole Tour, danke Goldi.