Villa Esche Chemnitz – 13. April 2024

1902/1903 entwirft Henry van de Velde für den Chemnitzer Strumpffabrikanten Herbert Esche Villa – ein weiteres Meisterwerk der Moderne und Baudenkmal von europäischem Rang – 13.04.2024.

HP Villa Esche – Henry van de Velde

Henry van de Velde (1863–1957) gehörte am Anfang des 20. Jahrhunderts zu den herausragenden Gestalten des europäischen Kunstgeschehens. Ausgesprochen vielseitig talentiert, prägte er als Maler, Designer, Kunsttheoretiker und Reformer maßgeblich die Ausformung des Jugendstils in Deutschland. Sein Ziel war es, mit einer Einheit von funktionalem und künstlerischästhetischem Anspruch einen neuen Lebensstil zu kreieren und damit eine Reform aller Lebensbereiche zu erreichen.

Van de Veldes „Entwurf für das Leben“ ging von der Idee eines Gesamtkunstwerkes aus, eine Vision, die sein späterer Weimarer Schüler Walter Gropius (1883–1969) mit dem Bauhaus-Konzept in Dessau konsequent wieder aufgriff.

Entwurf und Bau der Villa Esche in Chemnitz waren van de Veldes erstes architektonisches Auftragswerk in Deutschland, bei dem er zudem die völlige Freiheit des Gestalters und das umfassende Vertrauen seiner Auftraggeber genoss. Damit dokumentiert die geradlinige und funktionale Gestaltung der Villa Esche besonders authentisch van de Veldes rationale Auffassung des Jugendstils.

Der Entwurf des Gestalters umfasste alle Bereiche des Wohnumfeldes der Familie: von Fassade und Raumanordnung über Wandgestaltung, Wandbespannung, Türen, Fenster, Lampen und Teppichen bis hin zu Mobiliar, Porzellan, Silber und privaten Gebrauchsgegenständen. Darüber hinaus bezog der Belgier den großzügig angelegten Garten funktionell und gestalterisch in das Gesamtkonzept des Hauses ein.

Mit der Villa Esche entstand auf diese Weise ein außergewöhnliches Zeugnis seiner Architekturauffassung und der erste von vier Entwürfen van de Veldes in Chemnitz.

HP Villa Esche – Familie & Firma Esche

Der junge Chemnitzer Textilunternehmer Herbert Eugen Esche – ein Kenner und Liebhaber zeitgenössischer Kunst – erteilte 1902 dem belgischen Künstler Henry van de Velde den Auftrag zum Bau einer repräsentativen Villa. Bereits 1899 hatte van de Velde Mobiliar für die Wohnung des jungen Ehepaares auf dem Kaßberg entworfen.

Herbert Eugen Esche (1874–1962) entstammte einer angesehenen Fabrikantenfamilie, deren Wurzeln im nahegelegenen Limbach bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen: Johann Esche (1682–1752) gebührt das Verdienst, um 1700 mit dem Bau des ersten funktionstüchtigen Strumpfwirkstuhls in Deutschland den Grundstein für eines der erfolgreichsten Unternehmen der sächsischen Textilindustrie gelegt zu haben.

Herbert Esche war Mitinhaber der Firma Moritz Samuel Esche, die ab 1870 in Chemnitz tätig war und zur größten Strumpffabrikation Deutschlands expandierte. Das internationale Ansehen des Unternehmens dokumentierte u. a. die Berufung Theodor Esches als Juror zu den Weltausstellungen in Paris und in London.

Aber auch das Engagement der weitläufigen Familie Esche in künstlerischem, öffentlichem und sozialem Interesse hinterließ vielfältige Spuren:

  • In Limbach erinnert noch heute die Anna-Esche-Straße an das wohltätige Wirken der Großmutter von Herbert Esche.
  • Herberts Vater Eugen Esche war Mitglied des Sächsischen Landtages. Seine Stiftung bot in Chemnitz langjährigen und verdienten Arbeitern der Firma Moritz Samuel Esche angemessenen Wohnraum.
  • 1905 weilte der norwegische Maler Edvard Munch auf Einladung der Familie in der Villa Esche und portraitierte u. a. die Kinder Hans Herbert und Erdmuthe Margarete.

HP Villa Esche – Entwurf für das Leben

Die von dem belgischen Künstler Henry van de Velde entworfene Villa Esche gilt als ein Baudenkmal von europäischem Rang und gehört neben dem ErichMendelsohn-Bau des Kaufhauses Schocken, dem Kaßberg, als einem der größten, noch geschlossen erhaltenen Jugendstil- und Gründerzeitviertel Europas, und imposanten Bauten der Industriearchitektur zu den herausragenden Architekturleistungen in Chemnitz.

Die aufwändigen Restaurierungsarbeiten an dem Gesamtkunstwerk konnten aufgrund einer vergleichsweise guten Quellenlage sehr nah am historischen Original vollzogen werden, so dass die Villa Esche heute als einer der Höhepunkte entlang der Europäischen Henry van de Velde Route gilt.

Sie beherbergt seit 2001 das erste Henry van de Velde Museum Deutschlands und dient als Konzertpodium, Tagungsstätte und Eventlocation. Die auf Grundlage eines Netzwerkes von Wirtschaft, Kunst und Kultur etablierte museale, kulturelle und kommerzielle Nutzung des Hauses knüpft an den Geist der langjährigen Freundschaft zwischen der Chemnitzer Unternehmerfamilie Esche und dem belgischen Künstler Henry van de Velde an.

Das Henry van de Velde Museum vermittelt mit dem weitgehend original möblierten ehemaligen Speisezimmer und dem Musiksalon einen Eindruck des ursprünglichen Ambientes der von van de Velde gestalteten „Lebensräume“. Eine Dauerausstellung im ehemaligen Schlaf-, Kinder- und Badezimmer präsentiert das weitgefächerte Gesamtschaffen des vielseitigen Künstlers.

Die Kabinettausstellung im zweiten Obergeschoss der Villa zeigt Kostbarkeiten aus Familienbesitz und gewährt Einblicke in die Firmen- und Familiengeschichte Esche sowie die Tradition der 1685 gegründeten Brautsuppengesellschaften in Chemnitz.

HP Villa Esche – Chronik

  • 1902/1903 – Entwurf und Bau durch Henry van de Velde
  • 1911 – Erweiterung nach Plänen von Henry van de Velde
  • 1945 – 1947 – Sitz der Sowjetischen Militärkommandantur
  • 1947 – 1952 – Wohnhaus u. a. von Hans Herbert Esche, dem Sohn des Bauherrn
  • 1952 – 1964 – Nutzung durch das Ministerium für Staatssicherheit
  • 1964 – 1989 – Bildungseinrichtung der Bezirkshandwerkskammer
  • 1989 – 1998 – Leerstand und fortschreitender Verfall
  • 1998 – Kauf durch die Grundstücks- und GebäudewirtschaftsGesellschaft Chemnitz (GGG)
  • 1998 – 2001 – akribische Restaurierung des Baudenkmals durch die GGG
  • seit 2001 – Nutzung als Henry van de Velde Museum, Konzertpodium, Tagungsstätte, Bankett- und Eventlocation
  • 2003 – Eröffnung der Kabinettausstellung zu Firma und Familie Esche sowie zur Tradition der Brautsuppengesellschaften in Chemnitz
  • 2003 – Widmung als Stätte für Trauungen mit besonderem Stil und Service
  • 2014 – Aufnahme in das Iconic House Network
  • 2019 – Rückkehr der Bibliothek Herbert Eugen Esches in das einstige Herrenzimmer

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