Unser Trip beginnt gewissermaßen beim BSC, haben wir doch hier unseren kongenialen Reisebegleiter und -organisator Andreas an unserer Seite. Das Testspiel des BTSV im Stadion Franzsches Feld ist von Anfang an unwichtig, es geht ums Aufwärmen. Ist, glaube ich, auch gut gelungen:-).
Leicht verkatert geht’s am Sonntag zum Bahnhof Braunschweig; als Andreas, Bernhard, Henning, Matze und ich endlich beisammen sind, geht’s von dort nach Frankfurt, um auf den Flieger zu warten. Andreas wartet etwas länger als wir, wird fünf Stunden nach uns fliegen, aber wir haben die Adresse und die Schlüssel zu seiner Wohnung. Und siehe da, obwohl uns der Taxifahrer nicht versteht, kann er den Adressenausdruck mit den chinesischen Schriftzeichen lesen und bringt uns ans Ziel. Alles kein Problem in der Metropole Shanghai…
Doch zunächst die Ankunft in Shanhai. Montag, 17.07. sind wir da, endlich, und beim Anflug auf den Flughafen etwas überrascht, alles sehr viel größer hier. Diese Überraschung tritt allerdings unmittelbar nach Verlassen des Flughafengebäudes heftigst in den Hintergrund. Nicht dass uns Andreas nicht ausdrücklich drauf hingewiesen hätte; dennoch, diese Hitze und vor allem die damit einhergehende Luftfeuchtigkeit trifft uns wie ein Hammerschlag, sodass wir unverzüglich den Rückzug unter die schützende Glocke klimatisierter Räume suchen. Ein Reflex, welcher uns fortan begleiten wird; dennoch schaffen wir es irgendwie, nicht irgendwann völlig erkältet durch die Gegend zu laufen. Es ist, als ob sich die Luft wie eine Glocke über einen legt, man hat das Gefühl, dass sich dicke feuchte Luftteilchen um einen legen, einen geradezu umklammern und beständig daran erinnern wollen, dass Luft aus Teilchen besteht und jede Bewegung auf ein Minimum reduziert werden sollte, was allerdings auch nichts bringt. Also besser was Klimatisiertes: wir nehmen den Maglev, die Magnetbahn, mit der ja China bekanntlich mehr anfangen kann als Deutschland; eine Strecke von Shanghai nach Beijing ist im Gespräch. Zunächst haben wir aber nur die Strecke Flughafen bis irgendwo in Shanghai vor uns. Das Teil ist nicht nur klimatisiert, sondern auch richtig aufregend; wann hat man schon mal das Vergnügen, mit über 400 km/h quasi durch die Gegend zu fliegen?
Nicht weniger aufregend dann die folgende Taxifahrt. Man stelle sich einfach vor, dass der Fahrer kein Wort von uns versteht und dementsprechend nur die Adresszettel zur Kommunikation mit uns hat, dass einem 45 min lang ein Koffer im Nacken liegt, jederzeit bereit für eine Vollbremsung mit gepflegter Kopfrasur, dass die Verkehrsdichte in dieser Stadt mit hiesigen Maßstäben nicht annährend zu vergleichen ist, Fahrspuren und Ampeln an vielen Stellen bestenfalls empfehlenden Charakter haben und man hat eine ungefähre Vorstellung von der Fahrt. Aber auch wenn die Hupe allgegenwärtig ist, so ist auch gleichermaßen ein entspannter Umgang mit diesem Chaos allgegenwärtig und dementsprechend wenig passiert auch. Ich werde mich nie wieder über den Verkehr im Revier beschweren.
Die Zeit bis zum Eintreffen von Andreas nutzen wir, um unser Schlafdefizit auszugleichen. Wenig wirklicher Schlaf im Flieger und sechs Stunden Zeitverschiebung. Als Andreas ankommt geht’s Einkaufen für einen grandiosen Grillabend auf dem Balkon im 17. Stock, was mal schlank die Hälfte des Hochhauses ist.
Der 18.07. ist Shanghai vorbehalten. Unendlich viele Hochhäuser und unendlich viel bebaute Fläche begleiten unseren knapp einstündigen Metro-Weg von der Wohnung in der Hong Qiao Lu zum Bund, was im angloindischen Sprachraum befestigtes Ufer heißt. 14-22 Mio. Einwohner – je nach Quelle – wollen eben irgendwo untergebracht sein. Den Bund mit seinen Kolonialpalästen als Ausdruck des traditionellen Shanghai muss man gesehen haben, genauso wie die gegenüberliegende himmelsstrebende Skyline von Pudong. Die macht als Gesamtensemble schon mächtig Eindruck.
Eine besondere Überraschung hält Andreas als Abendprogramm bereit. Zunächst geht’s ins Paulaner, flach gelegen vor steil aufragenden Wolkenkratzern; Chinesinnen im Dirndl, deutsches Bier und deutsches Essen und jede Menge Angestellte, die sich um das leibliche Wohl der Gäste kümmern, gibt’s hier. Man stelle sich das Bild vor: eine, manchmal auch zwei, bringen die Biere auf dem Tablett, zwei stellen die Biere zu den Gästen und einer sichert die Szene ab; dto. beim Essen. Die Zuständigkeit eines solchen Teams schien sich zudem auf bestenfalls zwei Tische zu erstrecken. So sichert man die Vollbeschäftigung, einen der Grundpfeiler des sozialistischen Systems. Wir werden ähnliche Szenarien noch öfter beobachten. Der abschließende Besuch unserer so titulierten ‚Schinkenstraße’ kurbelt den dortigen Umsatz an, bringt jede Menge Spaß und neue Bekanntschaften mit Semi-Nutten („By me a drink?“).
Sehr spät ist’s geworden, Ausschlafen dringend angesagt, und die wenige Bewegung, die wir uns in diesen für uns immer noch heftigen klimatischen Bedingungen verordnen, ist die Vorbereitung auf die Zugfahrt nach Beijing. Auf zum Bahnhof und warten auf den Zug. Extrem viele Menschen unterwegs, aber da ohne Fahrkarte keiner ins Gebäude kommt, ist es so leidlich übersichtlich. Um 19.07 setzt sich der Zug in Bewegung.
Unerwartet lustig wird die Fahrt auch Dank der beiden Österreicher, die mit im Speisewagen mit uns sitzen. Später bekommen wir noch Hunger. Wird lustig bei einer Speisekarte komplett in chinesisch bei Beschäftigten, die uns genauso wenig verstehen wie wir sie. Matze bestellt dann eben irgendwas für uns. Geschmeckt hat es. Ein wenig Schlaf wird uns denn doch aufgenötigt, man will den Speisewagen um eins denn endlich mal schließen. Schade.
Der erste Tag in Beijing wird in vielerlei Hinsicht zur ersten richtigen Härteprobe. Zunächst die Ankunft am Bahnhof; was hier um 7.00 an Menschenmassen unterwegs ist, geht gar nicht. Man meint hinterher, alle 14 Mio. Beijinger gesehen zu haben. Was muss erst in den allgemeinen Ferien los sein. Andreas erzählt uns, dass dann das ganze Land unterwegs sei. Es schiebt sich, es drängt sich, man hat das Gefühl, in einem Ameisenhaufen unterwegs zu sein. Das scheint aber keinen in irgendeiner Weise anzufassen, die einzigen, für die es – noch – sehr gewöhnungsbedürftig ist, sind wir Langnasen. Es wird erst etwas weniger beim Einbiegen in die Nebenstraße, in welcher unser Hotel liegt.
Nach Einchecken und ein wenig Ruhe geht es zum „Platz am Himmelsfriedenstor“. Keiner kennt ihn unter diesem Namen, außer der BaedeckerReiseführer. Hier also der bekannte Name: „Platz des himmlischen Friedens“. Dort lernen wir auf diesem Platz die beiden chinesischen Schwestern kennen, die uns nach einer Führung durch die Altstadt, von der ein wesentlicher Teil, durch den wir gehen, in Kürze plattgemacht wird um Beeindruckendes hinzustellen für die Olympischen Spiele, eine originäre Teezeremonie und anschließend eine ebenso originäre Peking-Ente bescheren. Warum aber die Begleitmusik bei der Zeremonie so laut sein musste, dass die Meisterin beständig dagegen anschreien musste, ist mir bis heute ein Rätsel. Spannend war’s trotzdem, wenn auch schweineteuer. Für sieben Leute kostet der Spaß 600 €. Seit ich die Abrechnung gesehen habe, habe ich das Gefühl, dass dieser Tee eine magische Wirkung hat. Ich glaube sogar, dass er sämtliche vorstellbaren Krankheiten vertreiben kann. Die Peking-Ente wird uns von den beiden Schwestern nach allen Regeln der Gastfreundschaft zelebriert, so dass es zwangsläufig zu einer absoluten Völlerei wird. Gastfreundschaft heißt in diesem Falle auch, dass sie es sich nicht nehmen lassen, zu zahlen. Da passt es ja, dass die Ente nicht mal ein Zehntel von der Teezeremonie gekostet hat. Letztlich war es wahrscheinlich gar nicht so sehr zufällig, dass uns die beiden da getroffen haben, aber was soll’s, wir wurden gut unterhalten und hatten unseren Spaß.
Einen Absacker nach aufregendem Tag gibt es im Lotus-Garten. Die Schwestern erzählen, dass sie zurück ins Wohnheim müssen, sonst gibt’s Ärger. In solchen Staaten geht das. Vorher haben sie aber noch einen Tipp für uns, den sogar gratis. Sie warnen uns eindringlich vor geschminkten Frauen, sprich Prostituierten. Rührend.
Ein weiterer Tag in Beijing führt uns zunächst raus aus der Stadt. Ein Hoch auf die Planung und Organisation von Andreas. Ab dem Morgen steht für uns ein Großraumtaxi bereit, welches uns zur Großen Mauer fährt. Ein weiteres Hoch auf die Auswahl des Mauerabschnitts, der nicht so viel Touristen zieht und deswegen sehr entspannt zu genießen ist. Dafür einen weiteren Anfahrtsweg zu nehmen, ist genau die richtige Entscheidung. Bei gefühlten 40°C sind wir unterwegs auf diesem phänomenalen Bauwerk in phänomenaler Landschaft.
Auffällig: Obwohl dem gleichen Größenwahn Chinas geschuldet meint man hier nicht die Größe offensichtlich zu sehen, sondern eher die Harmonie, die sich spätestens immer dann ergibt, wenn man an unseren jeweiligen Etappenzielen, den Wachtürmen den Blick über die in die Landschaft eingebettete Mauer schweifen lässt. In Verbindung zur „Halle der höchsten Harmonie“, die wir erst morgen in der Verbotenen Stadt zu sehen bekommen sollen, bin ich geneigt zu sagen, hier die höchste Harmonie erschauen zu können. Wie bei vielen Großprojekten spielten Menschenleben auch hier keine Rolle. Ein paar Facts aus dem Baedecker: zwangsverpflichtete Bauern zogen die Mauern innerhalb weniger Wochen i.A. aus Stampflehm hoch. Die Mauern? Ja, die Mauern, weil viele Dynastien sich am Mauerbau versuchten. Die imposanteste, deren Teil wir gesehen haben, ist ein Relikt des 16./17. Jahrhunderts oder der Ming-Dynastie, die, nachdem man keine Handelsbeziehungen mit den Mongolen mochte, diese sich als Feinde vom Hals halten musste. Mauer als der letzte Ausweg, irgendwie bekannt. Nur waren mit diesem Mauerbau enorme Lasten für das Land verbunden und erwies sich aus verschiedenen Gründen denn doch nicht als unüberwindlich. Im Inneren das für den Bau ausgepresste Volk, von Außen der Gegner, der die Mauer locker zu überwinden wusste. Eine Dynastie schaufelt sich mit einem Großprojekt ihr Grab. Nachhaltig. Fazit: Mauer ist schwerst beeindruckend, so beeindruckend, dass wir sogar unser Ziel, den Mauerfall nachzustellen, komplett vergessen.
Aufgrund der desolaten Leistung des Fahrers auf dem Rückweg gehen wir in den Sommerpalast, schauen kurz, machen Bilder, aber zu mehr fehlt einfach die Zeit.
Am Abend gibt es Fastfood bei einem der unzähligen McD, wie immer heftig klimatisiert, und einen Absacker in einer der vielen kleinen Kneipen an einer der Straßen, die man einfach gesehen haben muss. Mit den mitteleuropäischen Vorstellungen halten diese keineswegs Schritt. Schlicht, ohne Toilette, hygienisch nicht restlos überzeugend. Aber, und das ist der Punkt, auch wenn inmitten fetter Bauten, haben wir ein Teil der von uns gesuchten Ursprünglichkeit. Hinzu kommt diese grandiose Gastfreundlichkeit.
Wir sind uns nicht ganz einig, ob das Mausoleum, 1976 erbaut, Maos Tod im Herzen und das Lincoln Memorial vor Augen, mit der ausgestellten Wachspuppe von Mao Zedong sein muss. Immerhin hat er Millionen Menschen auf dem Gewissen, steht für eine verfehlte Kollektivierungspolitik und für die Vernichtung diverser Kulturgüter. Im Nachhinein sind wir froh, diese Erfahrung mitgenommen zu haben. 1,5 Stunden bewegen wir uns in einer wohl drei km langen Schlange vorwärts, werden erbarmungslos von der Sonne geröstet und haben sehr viel Spaß an den Ordnungskräften, die beständig und schmerzbefreit – von Megaphon zum nächsten Ohr bestenfalls ein Meter – die Anstehenden zur Ordnung rufen. Die Möglichkeiten der Verfehlungen sind in ihren Augen groß: keine gelbe Absperrungslinie übertreten, immer hübsch in der Reihe bleiben, nicht stehen bleiben, an den Ecken nicht abkürzen usw. Zwischendrin versuchen wir zu berechnen, welche Masse heute hier durchgeschleust wird; wir kommen auf ca. 150.000-200.000. Nicht dass irgendeinen von uns diese Menschenmassen noch wundern. Mao ist eben für die Mehrheit nach wie vor der „Große Vorsitzende“, das wurde in dieser Schlange mehrfach deutlich.
Danach scheinen sich sämtliche Mao-Besucher in der Verbotenen Stadt eingefunden zu haben, was uns das Genießen eindeutig erschwert. Gern hätten wir mehr gehabt, aber aufgrund der nach wie vor erbarmungslosen Hitze und heftigen Menschenmassen beschränkten wir uns auf das Wesentliche.
Der Himmelsaltar aus dem 15. Jhdt. rundet den ersten Teil des Tages ab. Der schönste Teil ist die Halle des Erntegebets, in der der Kaiser um das rechte Wetter für eine gute Ernte bat.
Ein wenig später steht unser Länderpunkt China auf dem Plan. Im Shijinshan-Stadium stehen sich Beijing Hongdeng und Zhejiang Lycheng gegenüber. Das fußballerische Niveau ist gewöhnungsbedürftig, der Support allerdings kann sich hören lassen, sogar Auswärtssupporter waren da. Als das Spiel eigentlich schon mit ner Heimniederlage abgehakt ist, gelingt es den Gastgebern doch noch irgendwie, den allerletzten Angriff ins Tor zu stolpern. Wenigstens das Engagement der Mannschaft und der Supporter wurde belohnt, dass es sportlich erzwungen war, lässt sich nicht behaupten. Unseren Spaß hatten wir dennoch.
Nach einem sehr guten chinesischem Essen trinken wir in „unserer“ Straße noch ein paar Biere, ist schließlich der letzte Tag in Beijing, morgen geht’s nach Xi’an. Diese Straße repräsentiert das, was wir unter dem typischen alten China verstehen: klitzekleine Lädchen, geschäftige Leute allüberall, eine öffentliche Toilette wahrscheinlich für die ganze Straße, welche natürlich jenseits von Zweispurigkeit ist. Wir nehmen nicht an, dass jeder Haushalt hier über unseren westlichen Standart verfügt, also fließend Wasser aus der Wand und so. Fast alle Wände grau gestrichen und immer wieder diese roten Laternen. Bei der Ankunft waren wir doch sehr überrascht, dass in dieser Straße auf einmal unser Hotel stand. Bald ist unsere Bezugsquelle der einzige Laden der Gasse, der noch offen hat. Diese Stadt schläft nie. Der Bierpreis liegt in einem Cent-Bereich, bei dem man nicht Mal im Ansatz auf die Idee kommt, zu handeln.
Nach dem Flug nach Xi’an machen wir uns mit der hiesigen Altstadt bekannt. Im Wesentlichen ist diese das alte Moslemviertel, unendlich pulsierend, unendlich abwechslungsreich, unendlich spannend. Nahtlos geht dieses in einen Basar über, nicht weniger pulsierend, abwechslungsreich, spannend. Glockenturm und Trommelturm runden das Ganze ab. Beide nicht sonderlich spektakulär, abgesehen vom Standing des Glockenturms mitten auf der zentralen Kreuzung. Die mindestens 400 Jahre alte Moschee ist eine Oase der absoluten Ruhe inmitten des pulsierenden Moslemviertels, zu dem unvermeidlich auch der Basar gehört.
Nach mehr oder weniger zielloser Suche essen wir im Hotel. Mäßig gut, wir hatten schon besseres chinesisches Essen. Als uns auch noch supi-dupi-original-chinesische Teetassen für schlanke fünf Dollar das Stück angeboten werden, beschließen wir, einfach das mitreißende Leben in Xi’an zu genießen. Andreas, Henning und ich nehmen dann später noch einen Absacker in einer Nebenstraße, die im Vergleich zur Las-Vegas-mäßigen Beleuchtung der Hauptstraße kaum Licht zeigt, aber nicht weniger lebhaft ist, nur anders. Zwei Straßenzüge von der Hauptstraße entfernt zeigt sich wieder mal das sogenannte einfache Leben, die Chinesen – und hier sind NUR Chinesen – hier leben das Leben in unverstellter Form und sind nicht auf äußere Wirkung bedacht. Das Blinken der Leuchtreklame sieht man nur wie ein Wetterleuchten. Eine Häuserzeile teilt hier zwei extrem voneinander unterschiedene Lebensbereiche, unübersehbar nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Beleuchtung, sondern auch aufgrund der Lokalität. Andererseits aber: ein Tisch, drei Hocker, drei Flaschen Bier und mitten im chinesischen Leben. Mehr braucht’s nicht. Wir genießen es.
Ein Kleinbus, bestückt mit einer Führerin, die unendlich viel zu erzählen weiß, holt uns am nächsten Morgen ab zur Terrakottaarmee-Tour. Wir haben uns entscheiden, eine guided tour zu nehmen, und fangen an es zu bereuen bei den ganzen ausgegrabenen Palästen und Badehäusern, bei denen wir vor allem unendlich gelangweit in der nach wie vor brutalen Sonne herumstehen. Alles sicher wichtig und gehört ja auch zu dem Komplex des Ersten Kaisers Qin Shihuangdi, dem die Welt diese legendäre Armee verdankt, aber irgendwie alles ähnlich und v.a. ohne Bezug zum Ganzen. Zumindest, wenn es auf diese Art präsentiert wird. Die Erlösung in Form der Terrakottaarmee lässt lange auf sich warten. Selbst das Mausoleum, eigentlich nur ein Hügel, den man hinauflaufen kann oder auch nicht und die Legoland-Grabkammer, die ja irgendwie noch den direktesten Bezug zu der Geschichte haben, erquicken nicht.
Erquicklich auch nicht dieser geistig beeinträchtigte Kanadier, der bei einem Disput um die Sitzplätze im Bus nichts besseres zu tun hat, als das Totschlagargument Rassismus zu bemühen. Armseliger kleiner Pisser. Irgendwann nach diesen unnötigen Zwischenstops können wir uns denn doch endlich an der Terrakottaarmee erfreuen. Die allerdings ist schwer beeindruckend. Einerseits ist es dieses Live-Erlebnis. Jahrelang hat man davon gehört, Berichte gelesen, Dokumentationen gesehen und nun steht man direkt davor und sieht, dass die Armee noch viel größer, beeindruckender und geiler ist, als unter Zusammenziehung aller Bilder aus dem Kopf für möglich gehalten. Andererseits auch die Dimensionen. Bisher immer der Annahme, das es nur diese zwei, drei Reihen sind, die in den Berichten immer wieder auftauchten, sehen wir auf einmal, dass es eine Halle ist, in die locker zwei Fußballfelder passen. Und es gehören weitere Hallen dazu, in denen die Grabungen noch nicht so weit getrieben sind. Also auch hier zeigt China – in diesem Falle Kaiser Qin Shihuangdi – dass offensichtlich nur gut ist, was richtig viel und groß ist.
Seit diesen unsäglichen Zwischenstopps kennen wir Julian, den bulgarisch-berlinischen Balletttänzer. Nach und nach lernen wir seine abgefahrene Lebensgeschichte kennen, sondern auch seine nicht unkomplizierte aktuelle Lebenssituation. Wir reden uns die Köpfe heiß und drehen uns im Kreise und bleiben immer doch beim Thema und als es nichts mehr zum Thema zu sagen gibt, sehen wir die Batterien leerer Bierflaschen am Nachbartisch stehen. Hier wird nicht so abgeräumt wie in Deutschland. Die Gäste sollen sehen, was die anderen verzehrt haben, gehört zum Stolz des Restaurants.
Das bringen auch nur Touristen: In brütender Mittagshitze 3,5 h auf der Mauer von Xi’an ohne jeglichen Schatten herumzulaufen. Auf stattliche 13,8 km bringen wir es. Ein klares Rechteck umschließt den Kern der Stadt und auf diesem geht es die jeweiligen Teilabschnitte schnurgeradeaus. Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, ist sie – ebenso wie die Große Mauer – aus Stampflehm. Dass sie noch da ist, verdanken wir übrigens der Tonarmee, denn bevor diese entdeckt wurde, sollte die Mauer abgerissen werden. Nun kamen aber die Touristen und damit wurde dat Dingen wieder interessant. Abschließend geht’s zur Kleinen Wildganspagode, erbaut um 700 in Zeiten der Tang-Dynastie.
Das gestern für gut befundene Restaurant wird wieder aufgesucht, das Essen ist aber wegen der ausgefallenen Klimaanlage eher eine Tortur, aber wir wissen ja inzwischen, wo wir uns in Xi’an hinsetzen können. Unsere zweite und dritte Luft kommt dann beim Techno in der GoGoBar, die sicher auch einen Namen hatte, aber wen interessiert das schon. Gefühlt das fünfte Mal an diesem Tag sind Henning und ich hinterher komplett durchgeschwitzt.
Abschied von Xi’an und siehe da, zu einem weiteren Abenteuer wächst sich die Taxifahrt zum Flughafen aus. Von Shanghai und Beijing sind wir ja mittlerweile die aberwitzigsten Fahrmanöver gewohnt, aber durch welche Ecken wir bei dieser Fahrt kurven hat schon was. Wie weit wir von irgendwelchen Hauptstraßen entfernt waren, will ich glaube ich gar nicht so genau wissen. Die Grundzüge der Zivilisation sind rudimentär zu erkennen, mehr aber auch nicht. Allerdings mit der getönten Brille westlichen Standards gesehen. Eben auch hier die beiden Gesichter Chinas: an der einen Ecke boomt es ohne Ende, ein Stückchen weiter fragt man sich wahrscheinlich zu Recht, ob es abgesehen von den Straßen Infrastruktur gibt. Dass wir es nach unserer Ankunft in Shanghai schaffen, rechtzeitig im Hongkou-Football-Stadium zum Kick Shanghai Shenhua gegen Shenzhen Kingway zu sein, grenzt schon fast an ein Wunder. Alles just in time. In Kurzform: Ankunft Flughafen – Maglev – Metro – Fußweg zu Andreas. Jeweils keine Pufferzeit zum Umsteigen, ansonsten kommt der Plan in Gefahr. Wieder Fußweg – Metro – Stadion. Klingt einfach? Dann möge man in Dtl. mal versuchen, gut 100 km mit sechs Mal Umsteigen in zwei Stunden zu bewältigen. Und zwischendurch bitte noch Reisetasche abstellen und T-Shirt wechseln. Für die Statistik: Shanghai hat 1:0 gewonnen, Carsten Jancker wurde in der 60. min eingewechselt. Bitter, wenn es nicht mal mehr für die Chinesische Liga zur ersten Wahl reicht.
Zwei weitere Überraschungen hält Andreas danach bereit: zunächst das C’s, eine urige abgefahrene Kneipe, die wir nie im Leben gefunden hätten und so um eine Erfahrung ärmer geblieben wären. Das Klo allerdings ist sehr sehr gewöhnungsbedürftig, kein ‚American Standart’, den man in China eigentlich so liebt. Das dann folgende Zapatas ist mit Sicherheit auch ein Knaller, aber es war uns einfach zu voll und außerdem waren hier zu viel Langnasen unterwegs. Möglich, dass ich nach einem halben Jahr China auch unbedingt wieder Langnasen sehen wollte, aber so lange sind wir eben noch nicht hier. Ohne Andreas, der bei Debby ist, machen wir es uns in seiner Wohnung gemütlich. Unversehens gerät man ins unendliche Quatschen und das hält – zumindest bei Bernhard und mir – bis ca. 6.30 an. Sehr zur Freude von Matze übrigens. Während wir bis jetzt jeweils den sehr schnellen Sonnenuntergang sehen konnten, können wir diesmal auch den schnellen Sonnenaufgang bestaunen, begleitet von Wodka und Bier. Diese Stadt ist einfach umwerfend.
Etwas schwerfällig komme ich auf Touren; einfach zu wenig Schlaf und was sonst noch dazugehört. Dennoch, die Altstadt will ich mir nicht entgehen lassen, wer weiß, wie lange diese noch steht. In China hält man sich nicht lange mit Planfeststellungsverfahren oder gar Bürgerbegehren auf, man macht einfach. Und manchmal auch ganze Stadtteile plan. In Shanghai geht so was noch schneller. Es wird gesagt, dass Bauvorhaben, die anderswo 20 Jahre dauern, in Shanghai in fünf Jahren durch sind. Also: die Altstadt habe ich noch gesehen mit ihren krassen Kontrasten. Hier die Straßenhändler, die Wanderarbeiter, die kleinen Gassen, die kleinen Lädchen, dazwischen etwas amerikanische Fast-Food-Moderne und gleich um die Ecke die in die Höhe schießenden Häuser des aktuellen Shanghai.
Der Stadtgarten Yu Yuan ist dann eine Oase der Ruhe, im 16. Jhdt. für Beamte angelegt, zwischenzeitlich etwas verwildert und Ende der 50er Jahre wieder hergerichtet. Ob man hier die Touristen im Auge hatte? Manchmal denke ich ja, manchmal nein, denn zu sehr auf sich selbst bezogen bzw. auf die eigene rasante Fortentwicklung bedacht wirkt Shanghai.
Ein weiterer Vorschlag von Andreas: japanisch essen. Keine Frage, nach unseren guten Erfahrungen mit dem chinesischen Essen ist die Zustimmung nur Formsache. Sensationell wird’s. Sake, der so weiß ich jetzt, traditionell warm getrunken wird, roher Thunfisch, der bestens schmeckt, ein super Erdnuss-Dip, der jeden Bissen zu veredeln weiß, am Tisch zubereitetes Essen, was ein ästhetischer Hochgenuss ist und überhaupt einfach ein sensationelles Essen. Wird Zeit, dass ich in meiner neuen Wohnung die Möglichkeit bekomme, mal wieder selbst richtig gut zu kochen.
Die Tour neigt sich dem Ende zu, aber auf dem Huangpu waren wir noch nicht. Das ist heute fällig. Lakonisch sagte Andreas irgendwann dahin, dass die dreistündige Bootsfahrt auf dem Huangpu die ganze Zeit an Hochhäusern und Hafen vorbeiführt und beim Delta angekommen gewendet wird. Stimmt genau. Aber selbst wenn gewisse schläfrige Phasen während der Fahrt zu verzeichnen waren, war mindestens der Anblick des dichten Verkehrs zu Wasser die Fahrt wert; was allerdings heißen würde, dass die Skyline keinen Eindruck mehr auf uns machte, aber so weit sind wir noch lange nicht.
Ein – gemessen an den Größenverhältnissen der Stadt – Spaziergang führt uns zum Platz des Volkes, zumindest einem Teil davon. Da kommt anschließend der Bund doch wesentlich spektakulärer daher, erstens weil wir der quasi hereinstürzenden Nacht zuschauen können und zweitens weil wir darauf warten, Pudong bei Nacht abfotografieren zu können. Zu viel mehr fehlt uns in der unerträglichen Wärme/Luftfeuchtigkeit – hatte ich’s schon mal erwähnt? – die Energie; in Abwesenheit von Andreas verbringen wir den weitern Abend gepflegt vor der Klimaanlage.
Der vorletzte Tag. Das Restgeld wird ausgegeben, u.a. auch für das abendliche Grillen. Das entstehende EXPO-Gelände schauen wir uns an, auch hier entsteht eine neue Stadt, so der Eindruck, nur der Fußball, zu dem wir eigentlich wollten, findet nicht statt; Fehlinformationen im www. Das Grillen schließt den Kreis, wie wir angefangen haben, so hören wir auf: auf dem Balkon des 17. Stockwerkes. Nach wie vor ist aber eine der nervtötendsten Sachen das Anfeuern des Grills. Auch die Klimaanlage muss zum Anfeuern herhalten.
Ausschlafen, wenig bewegen. Warten auf den Flieger bzw. das Taxi, dann geht’s recht früh los zum Flughafen. Zum Glück, denn eine Stunde Rumhängen auf dem Flughafen bringen uns beste Plätze direkt vor den Notausgängen, auf denen man die Beine ausstrecken kann. Ca. 24.00 geht’s los.
Ca. 6.00 Frankurt, ca. 10.00 in der Löwenstadt, unser Vorteil ist die Zeitverschiebung; wir sind nicht ausgeschlafen, hatten aber im Flieger ca. 12 Stunden Ruhe. Erholt? Nicht bei diesem Urlaub mit diesen Extremen: Eindrücke, Luftfeuchtigkeit, Hitze, Lange Abende. Dennoch setze ich mich nach einem Kaffee bei Henning – dem ersten ernstzunehmende seit 14 Tagen – in Richtung Revier in Bewegung, bin ca. 15.00 in Dortmund und beginne, meinen Umzug gen Bochum vorzubereiten.
Fazit: China ist ganz klar und immer sichtbar ein Land der Kontraste. Auf der einen Seite unübersehbare Armut, auf der anderen Seite unübersehbarer Wohlstand. 200 Mio. Wanderarbeiter gibt es. Sie ziehen vom Land in die Städte, um dort ihr Glück zu machen. Viele von denen haben sich arrangiert, haben ihr bescheidenes Auskommen, wirken auch nicht unglücklich, aber die Kontraste sind deutlich zu den Etablierten. Auf der einen Seite boomende Megacitys, auf der anderen Seite nur zwei Nebenstraßen neben heftiger Leuchtreklame einfaches, ärmliches Leben. Auf der einen Seite deutlich modern gekleidete Chinesen, auf der anderen Seite vom Lande Zugewanderte, die im Straßenverkauf Obst verkaufen oder Müllsammler, die in einem – nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichbaren – Recyclingsystem ihr Auskommen finden. Ein Vergleich der Städte fällt schwer: Shanghai ist die boomende Supermetropole mit einem unvorstellbaren Hochhäusermeer, extrem westlich orientiert, die deutlich überschaubare Altstadt steht wohl nur noch für Touristen und das sicher auch nicht mehr lange. Beijing ist monumentaler; wenn man es nicht vorher gewusst hätte, dann würde man hier sofort die Regierung vermuten, die sich hier ihre Monumentalbauten zur Überwältigung des Volkes hingestellt hat. Hier auch deutlich mehr Kontraste zwischen dem modernen und alten China, denn hier ist einfach noch viel mehr von dem alten China sichtbar. Xi’an kommt im Zentrum heftigst amerikanisch rüber. Die aggressive Leuchtreklame lässt zeitweise vergessen, dass man in China ist. Ein paar Nebenstraßen weiter ändert sich dieses Bild schlagartig, dunkel wird’s und einfacher, aber nicht weniger spannend. Exterm auffällig ist auch die unendliche Gastfreundschaft und Freundlichkeit und natürlich auch die stets neugierigen Blicke auf die Langnasen. Wir fallen halt auf. Ein sensationeller Urlaub, dessen Fazit eigentlich länger ausfallen müsste, aber das hieße, noch mal von vorn anzufangen.