Europameisterschaftsqualifikation in Asien. Klingt kurios, ist kurios, aber wenn’s die jeweiligen Verbandsstatuten zulassen, dann ist eben unser Ziel Kasachstan. Es gibt einen Teil des Landes, der auf dem europäischen Kontinent liegt, aber der ist erstens recht klein und zweitens liegen die wichtigsten Städte Almaty und Astana im asiatischen Teil.
Erstes Ziel ist Almaty. Anreise und Flug fressen aufgrund verschiedener Umstiege Zeit und letztlich auch Nerven. So spannend das Reisen auch jedes Mal wieder ist und auch wenn es gelingt, während des Flugs zu pennen, erholsamer Schlaf sieht anders aus. In Zahlen: Um sechs per Zug in der Löwenstadt los, mittags Abflug von Nürnberg gen Istanbul, dort Aufenthalt von drei Stunden und dann die letzte Etappe von Istanbul nach Almaty in 5 ½ Stunden.
In Nürnberg lernen wir erste Mitreisende aus Dresden und Leipzig kennen, und fortan wird vornehmlich mit dieser Fraktion auf äußerst hohem Niveau gefrotzelt. Die Gruppe macht Spaß und das wird sich in den nächsten Tagen mehrfach nachhaltig bestätigen.
Morgens sind wir also in Almaty und beginnen unsere Stadttour glücklicherweise mit einem kräftigen Frühstück. Für den einen oder anderen gab es heute das erste Mal Pelmeni und damit beginnt die Tour gleich mit einer richtigen Neuentdeckung. Diese gefüllten Teigtaschen kenne ich schon, hungrig bin ich zudem nicht, aber Kaffee ist wichtig. Und was bekomme ich? Irgendwas Lösliches mit Milch und Zucker inklusive. Mit Kaffee hat das nichts zu tun, aber egal, als hinreichend gestärkt und einigermaßen munter können wir uns jetzt betrachten und so geht es zunächst erst mal quer durch Almaty.
Beginnend gegenüber dem Regierungsgebäude auf dem Platz der Republik mit dem Neuen Platz, der für die Unabhängigkeit des Landes Kasachstan steht. Der riesige und durchaus sehenswerte Grüne Basar liegt um die Ecke vom Hotel und lässt uns schon von ein wenig Ausruhen im Hotelbett träumen. Ist leider noch nicht vorgesehen, zunächst soll es noch mit der Seilbahn auf den Köktöbe, um die Aussicht zu genießen.
Um zwei können wir endlich einchecken und die Gelegenheit nutzen, zwei Stunden in der Waagerechten zu verbringen. Bitter nötig. Danach suchen Henning und ich frische Luft im gegenüberliegenden Park der 28 Panfilov-Gardesoldaten (benannt nach dem Garderegiment von Iwan Panfilov. Bei einer Schlacht bei Moskau vernichteten sie 50 deutsche Panzer, verloren aber auch 28 der Soldaten) mit seiner Heiligen Himmelfahrtskathedrale. Es ist der 10.10. und es werden quasi im Minutentakt Hochzeiten im russisch-orthodoxen Stil zelebriert. Weiter geht es die schnurgeraden und rechtwinklig ausgerichteten Prospekte entlang. Positiv ist, dass Almaty unglaublich viele Bäume hat und damit sehr grün ist. Weniger positiv sind diese breiten Prospekte und Straßen, die uns in Verbindung mit den Wohnblocks erstens wenig Abwechslung bescheren und zweitens auf die Ära des sozialistischen Realismus verweisen. Dieses Bild ändert sich auch nicht, als wir später mit der Family auf der Suche nach einer Lokalität erst fünf Querstraßen geradeaus, dann sechs Querstraßen nach rechts und dann noch ein Stück gehen. So kann man sich hier in Almaty leicht orientieren, gerade wenn die Straßennamen mal wieder fehlen oder nicht zu lesen sind. Es folgt Essen, ein paar Bier, ein paar Wodka, landestypisch eben. So kommen wir in meinen Geburtstag.
Der Absprung am Abend ist rechtzeitig geglückt und so können wir den zweiten Tag ausgeschlafen beginnen. Der führt uns, nachdem wir uns erneut im Panfilov-Park aufhalten, recht bald hoch in die Berge zum Eisstadion Medeo. Wie viel Weltrekorde hier aufgestellt worden sind, keine Ahnung, die Quellen widersprechen sich da. Aber dünn ist die Luft hier oben und deswegen ist vieles vorstellbar. Spannend ist die Anlage, eben weil sie so hoch liegt. Weniger spannend ist das Essen, welches wir hier oben zu uns nehmen: vergorene Stutenmilch muss probiert werden, ganz klar, sie gehört zu den asiatischen Steppenvölkern (Nomaden), aber schon der Geruch ist mehr als streng. Als einer der wenigen ringe ich mich zu einem halben Schälchen durch; weniger aus kulinarischem Interesse, mehr aus Prinzip. Zu überzeugen wissen ganz klar die als Opener dargereichten Gemüse und Walnüsse zum Abschluss; Pferdefleisch und Teigplatten sowie Plow hingegen wissen nicht nachhaltig zu punkten.
So richtig in den Kaukasus kommen wir jetzt leider nicht und so bleibt als Erinnerung der Blick auf die leider etwas im Dunst verschwommenen 5.000er. Vor der Abfahrt zum Bahnhof noch eine landestypische Kleinigkeit, wie bisher alles landestypische hat auch diese viel Fleisch und ist extrem fettig ausgebraten bzw. -gebacken: Schaschlyk und Piroggen zum Genießen. Dafür haben sämtliche verzehrten Speisen erstaunlich wenig Gewürze. Liegt wohl daran, dass die Gerichte in der Steppe geboren sind.
Einige Zeit später steht der Transfer nach Astana an und der wird ja mit einem Nachtzug vollzogen. Bevor wir aber unsere Abteile wirklich gefunden haben und dann auch in diesen engen Abteilen unsere Sachen verstaut haben, werden einige Nerven strapaziert. Zum Glück haben wir mit Vitali einen Deutschen mit kasachischen Wurzeln bei uns, der mit einer Engelsgeduld sämtliche Verständigungsprobleme in beiden Waggons löst. Alle Themen werden von ihm gelöst, bevor sie ins Stadium eines Problems eintreten können. Was er zudem in einer ruhigen Stunde zu seiner Biographie erzählt, ist interessant und beeindruckend. Wer kommt schon 2001 nach Deutschland, entwickelt den festen Willen, unbedingt die deutsche Sprache zu erlernen und setzt sich zu diesem Zweck zu den Obdachlosen in den Park, weil er dies als einen gangbaren Weg erkennt, das Ziel zu erreichen? Wie viele Mitbürger gibt es, die schon weit länger hier wohnen und weit weniger deutsch können?
Es gibt wieder landestypische Getränke, viel wird erzählt und irgendwann heißt es Schlafen. Dies geht auch vergleichsweise schnell und tief und als wir am nächsten Morgen geweckt werden, können wir noch die letzten Kilometer der Steppe vorbeiziehen sehen. Und auf einmal fängt Astana an! Eben noch Steppe, jetzt schon Stadt und einsetzendes Bremsen des Zuges. Krass, ich hätte viel erwartet, aber nicht einen so unvermittelten Übergang von der Steppe zur Stadt.
Das Frühstück beinhaltet heute sogar einen akzeptablen Kaffee, trotzdem bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass Kasachstan offensichtlich über keinerlei Kaffeekultur verfügt. Und danach Astana, die neue Hauptstadt. Beim Kurven durch die Stadt wird deutlich, mit welcher Konsequenz diese Stadt am Reißbrett geplant worden ist und es lässt sich erahnen, wie die Stadt weiter wachsen wird, wenig wird übrig bleiben von der alten Stadt, die es ja hier im Kern noch gibt. Platz ist ja genug hier, rings um die Stadt ist Steppe, in die trefflich hineingewachsen werden kann.
An manchen Stellen fahren wir auf Straßen, die abrupt enden, um nahtlos in die Steppe überzugehen. Dies wird indes nicht von langer Dauer sein, aktuell hat Astana 700.000 Einwohner und erst, wenn die Million erreicht wird, beginnt der Bau einer U-Bahn. Klarer kann man die Erwartungen an die Hauptstadt nicht formulieren. Es mag widersinnig erscheinen, als Hauptstadt nicht weiterhin Almaty, die alte gewachsene Hauptstadt zu nehmen. Statt dessen geht man in die Steppe und pimpt die alte Stadt Akmolins – immerhin schon lange ein Verkehrsknotenpunkt und in den letzten Jahren des Sowjetreiches Verbannungsort – auf. In den Augen des Präsidenten aber ist dies konsequent. Astana ist zentral gelegen, ist erdbebensicher und liegt in der Sary Arka, der großen Steppe, die das eigentliche Mutterland der Kasachen ist. Das Steppenvolk erschafft sich eine Hauptstadt mitten in der zentralen Steppe; symbolischer geht’s nicht. Letztlich steckt auch ein zeitgeschichtlicher Antriebsfaktor in dieser Entscheidung. Teil der russischen Besatzungspolitik war es, Kasachen aus angestammten Siedlungsgebieten im Norden des Landes zu verdrängen. Dies wird nun schrittweise korrigiert.
Nicht unspannend sind die Bauprojekte, die hier um den Wassergrünen Boulevard in einer Achse realisiert worden sind, nicht unspannend auch die Bauprojekte, die sich noch in der Entstehung zeigen. Aber man sieht hier kaum Menschen, alles ist supermodern, erheblich sauberer und interessanter als in Almaty, aber Menschen scheint es in dieser Ansammlung von Verwaltungsgebäuden entlang dieser Achse nicht zu geben. Später finden wir dann doch noch welche, aber da sind wir im alten Teil der Stadt, welcher mit dem Charme des alten Sozialismus zu glänzen weiß. Aber wer weiß wie lange noch, bei dem Bautempo vor Ort; was hier seit 1997 entstanden ist, hat schon ein beachtliches Ausmaß und wird den Rest sicher bald überrollen.
Alle drei Jahre findet an einem Ende der Achse im Palast des Friedens und der Eintracht der Kongress der Weltreligionen statt. Als unser Guide endlich mit dem Namen kommt, gibt’s in der Braunschweiger Fraktion kein Halten mehr: „Jawoll!“. Wir haben hier sehr viel Spaß mit unseren kleinen und großen Verrücktheiten. Die nächste folgt gleich anschließend, als es auf den Baum des Lebens soll. Zu unserer Freude ist die Aussichtsplattform in (18)95 Metern Höhe:-)
Nahrungsaufnahme. Das Restaurant ist gut, unsere Auswahl denkbar schlecht: Beschbarmak ist unsere Wahl, was Pferdefleisch mit dünnen, gekochten Teigfladen heißt. Mit den Teigfladen ohne jeglichen Biss und den offenbar schon etwas älteren Pferden kann keiner von uns wirklich was anfangen. Zusätzlich ärgerlich bei der Sache ist, dass Henning und ich den gleichen Kram schon oben in der Jurte bei Medeo hatten, ohne dies zu wissen, weil es ja da keine Speisekarte gab, aber egal. Abends gehen wir in eine Kaschemme, die über den Status Imbiss definitiv nicht hinauskommt. Witzig ist sie dennoch, denn sie hat mit Bier, Wodka und Schaschlyk alles notwendige. Ehe wir aber Gefahr laufen, hier noch bei der hochschwangeren Bedienung geburtshelfend eingreifen zu müssen, setzen wir uns in Bewegung. Komplettpaket heißt dann später auch, mit Bus zum Stadion und dann wieder zurück, wie bezahlt so geliefert. Es wird ein lockerer Sieg, aufregend an diesem Stadion ist, dass es aktuell in der Pampa liegt, in spätestens 20 Jahren aber mitten in der Stadt liegen wird.
Aufgrund der unsäglichen Anstoßzeit kommen wir extrem spät ins Bett. Es ist eben hier schon 23 Uhr beim Anstoß, während in Deutschland das Spiel schön um 19 Uhr laufen kann. Es geht halt dem deutschen Fernsehen um möglichst hohe Werbeeinnahmen, nur deshalb dieser späte Anstoßtermin. Dass damit aber das Spiel vor Ort am 12. Oktober angepfiffen wird und die zweite Halbzeit erst am nächsten Tag um 0:00 Uhr weitergeht, ist schon kurios. Für mich definitiv das erste Spiel über zwei Tage. Gespielt wird auf Kunstrasen und bei geschlossenem Dach.
Um drei Uhr sind wir im Bett, gegen zwölf soll der zweite Teil der Astanaentdeckung starten. Der tiefere Sinn im Abfahren von verschiedenen Kirchen und Moscheen kann letztlich nur darin liegen, zu zeigen, wie multikulturell Kasachstan und damit auch Astana ist. Einen herausragenden Status hätte ich jetzt keiner dieser Kirchen zuerkannt, aber immerhin ist interessant, dass nahezu alle Religionen anzutreffen sind. Darüber hinaus leben über 100 verschiedene Nationalitäten in Kasachstan, weswegen auch ein entsprechender Kongress hier Sinn macht, zudem ist das Konzept des Präsidenten Glaubensfreiheit und Toleranz. Es kommt an. Zum Abschluss sehen wir noch die andere Seite der Achse. Hier ist es keine Pyramide, sondern ein riesiges Zelt mit diversen Einkaufsmöglichkeiten.
Städtefazit: Almaty reizt mich aufgrund der Architektur überhaupt nicht, ich fand die Stadt recht eintönig; dafür aber sehr grün. Punkten kann Almaty zweifelsohne mit Lebendigkeit und sichtbaren Spuren gelebter Geschichte. Hier hat Astana im Vergleich nur im alten Stadtteil etwas zu bieten; ein Stadtteil, welches dem neuen Astana aber sicher recht bald Platz machen muss. Der neue Stadtteil ist ungemein spannend, genauso wie er leblos und künstlich-steril ist. In Punkto Bäumen wird die Stadt, wenn sie den geplanten Punkt 2030 erreicht hat, es locker mit Almaty aufnehmen können, so viel ist jetzt schon klar zu erkennen.
Einige haben sich eine Verlängerung im Hotel genommen. Wir nicht, also stehen wir vor der Frage, wie die Nacht zu verbringen ist. Transfer zum Flughafen ist gegen 1:30, Abflug ist um 4:00. Wir setzen uns in eine Bar, schaffen essensmäßig eine hervorragende Grundlage und erzählen fortan bei diversen Bieren mit Jena, Berlin und Erfurt über Fußball und die Welt. Natürlich ist traumhaft, dass wir im Flieger in den nächsten knapp sechs Stunden nach Istanbul deswegen umso besser pennen können. Dennoch sind wir komplett gerädert, als wir uns in Istanbul hinsetzen und auf den Anschlussflieger warten, der leider erst vier Stunden später gehen soll. Diesmal verzichten wir auf ein Bier im Pub. Auf dem Hinflug hat uns das noch ein Vermögen gekostet. Sechs Bier (immerhin 0,7), 12 Raki (immerhin auch groß) schlugen für die sechsköpfige Braunschweiger Gruppe mal eben mit 184 € ins Budget. Irgendwann ist das Warten vorbei und irgendwann sind wir auch wieder in der Löwenstadt, vollgepackt mit massig neuen und nachhaltigen Eindrücken.