Ein absoluter Schnapper ist der Flug von Bremen nach Vilnius. Einzig störend ein wenig die frühe Abflugzeit, aber für das Problem finde ich eine Lösung. Der Bahnhofsvorplatz von Bremen ist spannender als der von Braunschweig und angenehme Temperaturen gibt es auch, so verweile ich einige Zeit, um rechtzeitig zum Abflug zum Flughafen zu laufen, hab ja Zeit.
Morgens um acht bin ich dann schon in Vilnius, ein preiswerter Linienbus bringt mich den recht kurzen Weg bis zum Bahnhof. Von dort aus geht’s zu Fuß weiter. Zuvor brauch ich einen Kaffee. Bekomme ich in einem Laden, in dem sich paar Einheimische bereits die ersten Biere reintuen. Prost. Der Kaffee ist schräg, macht aber wach, das Ambiente ist noch schräger, also ziehe ich weiter in die Stadt.
Ich steure als erstes die Synagoge an; halte ich für einen wesentlichen Punkt in der Stadt, die bis vor der Hitlerzeit noch eine beträchtliche jüdische Gemeinde hatte, weswegen Vilnius als Jerusalem des Nordens galt. Davon ist nicht mehr viel übrig. Zwei Museen beschäftigen sich mit der Geschichte.
Weitaus prägender sind die ungezählten Kirchen, die das Stadtbild nachhaltig formen. Es ist fast egal, mit welcher man den Einstieg in die Stadt wählt, da die Altstadt in ihrer verwinkelten Grundstruktur erhalten geblieben ist, begegnet man ihnen unweigerlich mehr als einmal, was ab und an auch kurz verwirren kann, aber im Grunde auch faszinierend ist.
Manchmal muss etwas genauer hingesehen werden, weil hier wirklich nur Barockkirchen stehen und das in einer Dichte, die ich so noch nicht erlebt habe. Nach ca. drei Kirchen verzichte ich auch bei weiteren Kirchen auf das Innere, denn die Fülle des barocken Kircheninnenlebens kriege ich nicht zu fassen. Hier noch ein Altar, da noch ein Nebenaltar und was nicht alles; alles hinreißend schön verziert oder bebildert und vergoldet, aber für mich einfach zu viel, so dass die Bilder mich nicht mehr erreichen können und selbst der Gesamteindruck in der Beliebigkeit zu verschwimmen droht. Dann doch lieber weniger Kirchen von Innen und nach Möglichkeit so, dass sie länger haften bleiben.
Die erste wirklich beeindruckende auf meinem Weg hat kein zugängliches Inneres, zumindest nicht auf den ersten Blick und gesucht habe ich nicht. Dennoch ist sie schön. St. Katharinen heißt sie. Ich verweile auf einen Wein.
Um die Ecke die nächste Kirche. Letztlich geht das so weiter, wenn man will. Es ist in Vilnius problemlos möglich, sich im allerengsten City-Kreis aufzuhalten und von Barockkirche zu Barockkirche zu laufen, locker ausreichend für zwei Tage. Ich will aber nicht nur Kirchen sehen, also ziehe ich zunächst weiter. Z.B. ist da das Univiertel, was quasi am Rande der Innenstadt liegt. Von da aus geht’s weiter. Recht kurz halte ich mich an der Nikolauskirche auf und auch die nächste orthodoxe Kirche, die der heiligen Muttergottes liegt nur kurz am Weg nach Uzupis, dem vielzitierten Künstlerviertel. So richtig bannt mich das nicht und so gehe ich weiter zum Gotischen Ensemble. Das ist allerdings mehr als beeindruckend. Seit heute ist Napoleons pathetischer Wunsch, dieses Ensemble angeblich auf Händen nach Paris tragen zu wollen für mich nicht mehr überraschend.
In direkter Nachbarschaft zum Kathedralenplatz liegt mein Hotel und so ist dieser immer wieder ein Platz, den ich ansteure. Auch als es zur Burg hinaufgeht, ist der Kathedralenplatz der Startpunkt. Der Blick über die Stadt ist erhaben und zeigt, von wie vielen Kirchen das Stadtbild dominiert wird. Dennoch war der Blick vom Turm der Uni spannender, weil es hier mit dem Blick direkt in die Struktur der Altstadt hineingeht.
Der abendliche Rathausplatz bezaubert mit fast mediterranem Flair und hat nach den ganzen Kirchen den Tag über sogar noch einen echten Hingucker. Die Kirche Kasimir beeindruckt mit sehr warmen Farbtönen und einem vergleichsweise schlichten Inneren.
Praktischerweise ist das Hotel direkt auf dem Gediminas prospekt in der Nähe des Kathedralenplatzes. Der ist am Sonntagvormittag dicht für einen Markt und so schlendere ich ganz entspannt über den Markt zu meinem nächsten Ziel, dem KGB-Museum. Mag auf den ersten Blick vielleicht nicht zu einem Wochenendkurztrip passen, aber läßt Einblicke in die litauische Mentalität zu, die ich so nicht bekommen hätte. Beginnende Unterdrückung durch Stalin, dann ausgeliefert an Deutschland als Unterpfand im HitlerStalin-Pakt und nachdem die Hitlerzeit überstanden war in den gleichen Kellern, die zuvor die Gestapo für ihre Repression genutzt hat, weiter von dem KGB drangsaliert.
Neben weiteren Eindrücken der Stadt habe ich für den Nachmittag noch Fußball auf dem Programm. Ich bin im Žalgirio stadionas definitiv der einzige Gast, der Rest gehört zu einer der beiden Mannschaften. Ich weiß die Bedeutung dieser Liga sehr wohl einzuschätzen, aber dass ich der einzige Gast bei einem Pflichtspiel in einer ersten Liga eines Landes bin, habe ich auch noch nie gehabt. Dennoch, Žalgiris Vilnius und der FK Mažeikiai spielen in der A-Lyga 1:1. Das Spiel passt irgendwie zu dem Besuchsniveau und irgendwie auch zu dem Stadion, das nicht so aussieht, als würde hier irgendwann noch Geld investiert.
Der restliche Tag geht mit nett anzuschauenden Hinterhöfen, Jugendstil und noch weiteren Kirchen rum und um neben der Spezialität Pelmeni auch noch Borschtsch und Zepeliniai gehabt zu haben mit dem Besuch weiterer einschlägiger Gaststätten. Ein kurzer, aber lohnender Ausflug, der durchaus nach Wiederholung ruft.