USBEKISTAN – April : 2017

Titel

Usbekistan. Schon ganz lange ein Thema. Seit 1976 diffus-geheimnisvoll schillernd, dann lange Zeit aus verschiedenen Gründen etwas aus dem Fokus und seit ein paar Jahren klares Ziel. Nur gepasst hat es bisher nicht. Endlich geht es an.

Sechs Stunden Flug gehen irgendwann vorbei. Zwischen Kofferband und Taxi zum Hotel hat sich der Staat geschaltet. Kontrolle des Reisepasses reicht nicht, es gilt ziemlich genau aufzulisten, was ich an Bargeld und Wertgegenständen mit habe. Das mache ich mal lieber sehr genau, ich glaube, der Zoll ist in dieser Hinsicht nicht zwingend auf Späße aus. Höflich-bestimmt der Hinweis, dass ich die Durchschrift ja nicht verlieren solle. „Don’t lose it!“. Nee, bestimmt nicht.

Die Ankunft ist mitten in der Nacht in Taschkent. Das Hotel bisschen im Stile alter Sowjetzeiten. Auch das Personal. Direkt nach dem Willkommen wollen sie meinen Pass. Zur Registrierung. Dabei hab ich erstmal drängendere Fragen. Wo bekomme ich mitten in der Nacht nach sechs Stunden Flug noch ein Bier her und Geldwechsel zu eben jenem Zweck wäre auch ganz nett. Der Pass duldet aber keinen Aufschub. Ein nicht endender Strom russischer Worte ergießt sich über mich. Bis ich den Pass endlich aus der Tasche gekramt habe. Sofort ist Ruhe und das Personal die Freundlichkeit in Person. Gute alte Sowjetschule. Herrlich. Das mit dem Bier konnten wir dann anschließend auch noch regeln.

Tag eins ist dann der Hauptstadt vorbehalten. Taschkent ist seit 1930 Hauptstadt, zuvor war es Samarkand. Wenn es zu warm wird – und die Temperaturen bewegen sich gerade in Richtung meines persönlichen Grenzbereiches – hilft Metrofahren. Schnell bin ich so im Zentrum, preiswert zudem. 1.200 Sum (0,20 €) kostet die Fahrt. Den Senatspalast sehe ich, allerdings reicht mir ein Bild aus der Ferne.

Auf dem zentralen Platz steht Amir Timur. Der hatte am gleichen Platze illustre Vorgänger. Ab 1880 ein mir unbekannter zaristischer Mensch, ab 1940 Stalin, ab 1967 Marx und Engels. Und seit 1993 eben Timur. Nun steht er für die usbekische Identität. So richtig über Jahrhunderte scheint hier nicht DIE nationenprägende Identität entstanden zu sein, zu viele Einflüsse gab es im Verlauf der Jahrhunderte, Jahrtausende. Alexander der Große, Hunnen, Samaniden, Mongolen. Und ohne Zweifel hat Timur der Region tiefe Spuren eingeschrieben. Streng genommen begann aber erst nach Timur (1336-1405) die Zeit der Usbeken.

Im 19./20. Jahrhundert weckt das Land Begehrlichkeiten bei Russland und der Sowjetunion. 1924/1925 wird die Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik (Usbekische SSR) als Teilrepublik der UdSSR gegründet. 1963 wird der Zuschnitt nochmals geändert, Usbekistan in seinen heutigen Grenzen entsteht. Das Usbekistan in den Grenzen, die ich gerade bereise, gibt es also erst seit 1963. Die kulturellen und historischen Wurzeln reichen allerdings weit weit zurück. Spannende Geschichte.

Die Sowjet-Spuren in Taschkent sind überdeutlich. Kein Wunder, wurde die Stadt 1966 bei einem Erdbeben und den folgenden Nachbeben verheerend in Mitleidenschaft gezogen. Und dann sowjetisch großzügig wieder aufgebaut. Gerade Straßen, lange Straßen, breite Straßen. Gerne auch mal fünfspurig – in eine Richtung. Autofahrer können sich hier richtig austoben – was sie auch tun. Rote Ampeln ignorieren und Geschwindigkeitsüberschreitungen allerdings sind tabu.

Hin und weg bin ich von Taschkent jetzt nicht, weh tut mir die Stadt allerdings auch nicht. Sicher, diese groß und weit angelegten Städte sowjetischen Zuschnitts finde ich immer wieder spannend, auch weil der Lebensfluss oft ein anderer ist, das Leben anders organisiert ist. So auch hier. Aber ich zähle wenig Höhepunkte: den Timur-Platz, die Ecke um den Senat und Unabhängigkeitsplatz, das Gagarin-Denkmal, das Denkmal für die Erdbeben-Katastrophe. Fairerweise muss ich aber auch sagen, dass ich ja auch genau deswegen nicht nach Usbekistan geflogen bin, sondern wegen Seidenstraße, Orient, Architektur, Geschichte.

Abends ist AFC Champions League. Klingt letztlich größer als es dann war. Sehr viel größer. Eine halbe Stunde vor dem Anpfiff ist kaum was los am Stadion. Fast so viel Miliz wie Zuschauer. Einlasskontrolle und Ordnungsdienst erledigt alles die Miliz. Wie schon gestern am Flughafen, hier hat Kontrolle einen anderen Stellenwert. Aber das muss ich hier wohl hinnehmen. In Usbekistan wird einfach mehr kontrolliert und registriert. An den Metrostationen z.B. ist konsequent Taschenkontrolle.

Zum Spiel kommen krass wenige 3.155 Zuschauer. Es spielt hier also keine Rolle, ob Lokomotiv Taschkent in der CL spielt oder in der Liga. Interessiert keinen. Bei dem spielerischen Niveau nicht ganz verwunderlich. Es fallen zwar acht Tore und ich habe meinen Spaß, aber wie das Spiel, so fallen auch die Tore. Teilweise Slapstickeinlagen vom Feinsten. Lokomotiv führt zwischenzeitlich gegen Al Tawoon 3:1, bekommt dann den Ausgleich, macht in der Schlussphase das 4:3 um dann in der Nachspielzeit das 4:4 zu bekommen.

Einen Tag später geht’s weiter zunächst nach Buchara. In vier Stunden bringt mich der topmoderne Afrosiyob ans Ziel. Jeder Wagen hat eine eigene Wagenbegleiterin, die nicht nur das Ticket kontrolliert, sondern auch ständig vorbeikommt und irgendwas an den Platz bringt. Wasser, Tee, ne Kleinigkeit zu essen. Schon nett hier. Außerdem klimatisiert. Da lasse ich mir dann auch gefallen, dass im Endeffekt mein Ticket drei Mal kontrolliert wurde.

Buchara habe ich auf die Durchreise von Taschkent nach Samarkand gelegt. Morgens 11:17 bin ich da nach der ultraschnellen Fahrt. Gut 600 km in vier Stunden is schon gut. Hier habe ich aber vor allem mit den Temperaturen zu kämpfen.

30-Wüsten-Grad sind zu viel für den Tag, zumal gefühlt noch höher. Trockene Luft hin oder her. Der Zug nach Samarkand geht abends. Ich sehe zu, viel im Schatten zu bleiben und reduziere mein Programm auf das absolut Nötigste. Labi Hauz, der zentrale Platz oder die un- und außergewöhnliche Moschee Chor Minor mit ihren vier Minaretten. Ist Buchara vielleicht nicht ganz angemessen, aber ich hab noch paar Tage vor mir in Usbekistan. In Deutschland waren noch so miese Temperaturen, dass ich doch ein bisschen brauch, um auf dieses Temperatur-Level zu kommen. Lieber im Schatten sitzen, Tee trinken und mit den heftigen Temperaturen anfreunden. Irgendwelche Türme besteigen kann ich später noch. Und ich habe ja noch mehr Seidenstraße auf dem Zettel.

Abends weiter nach Samarkand. Erstmal schlafen im Furkat-Hostel. Die Temperaturen einen Tag später zum Glück für einen Tag nicht ganz so heftig, die Sonne trotzdem mit wenig Erbarmen.

Schon nach den ersten paar Tagen wird klar, die Miliz ist überall. Und ich glaube, Usbekistan ist sehr Dokumentenverliebt. Und stempelt gern irgendwas ab. Ständig kommen mir Leute mit irgendwelchen – natürlich gestempelten – Dokumenten entgegen. Die Zollerklärung wird abgestempelt. Der Boardingpass wird abgestempelt. Damit nicht genug benötige ich von jedem Hotel eine Aufenthaltsbescheinigung. Natürlich gestempelt. Die zu verlieren bringt Stress bei der Ausreise höre ich. Also sammle ich fleißig und passe drauf auf. Fast noch mehr als auf mein Geld. Bei dem verliert man ja ohnehin recht schnell den Überblick. Aber das ist ein anderes Thema.

Heute Morgen bei der Kontrolle zum Zugeinstieg sind der Zugbegleiterin meine gesammelten Dokumente aus meinem Reisepass gerutscht. Ich hab sie schon unter dem Zug gesehen und mir die Szenarien bei der Ausreise vorgestellt. Ging zum Glück gut. Aber die Zugbegleiterin hat offensichtlich einen genauso großen Schreck bekommen, die weiß ja auch, wie wichtig die Teile sein können. War ihr sichtbar unangenehm. Dreifache Entschuldigung gab’s.

Das Geld ist ein Problem. Definitiv. Die Inflation ist hoch. Der usbekische Sum wird kaum international gehandelt, die Hotels werden in Dollar bezahlt. Der offizielle Tauschkurs ist 1:3.100, inoffiziell 1:6.000. Eintritt in Museen ist oft in 6.000er-Schritten berechnet, die Taxis rechnen im 6.000er-Kurs. So tritt hier die paradoxe Situation ein, dass natürlich offiziell vor Schwarzmarkttauscherei gewarnt wird, hier aber der bessere Kurs zu erzielen ist.

Das geht ja irgendwie noch. Schwierig ist der praktische Umgang mit dem Haufen Kohle. Der größte Schein ist der 5.000-Sum-Schein, der absolut gebräuchlichste der 1.000-Sum-Schein. Bei Usbeken habe ich auch 10.000-Sum-Scheine gesehen. Aber eben nur bei Usbeken. Für meine 200 getauschten Dollar erhalte ich 1.200.000 Sum. Vornehmlich in 1.000-Sum-Scheinen. Der Rucksack ist damit halbvoll. Sollten eigentlich noch Klamotten rein.

Den Überblick über Ausgaben? Schwer. Der Eintritt zum Registan kostet 27.500 Sum. Sind zwar auch nur ca. fünf Dollar und damit nicht die Welt, aber 28 Scheine. Beim Essen sind es dann so 50.000 Sum und entsprechend viele Scheine. Nur mit konsequentem Nachzählen und Aufschreiben bleibe ich in der Spur. Auf Haushaltsbuch habe ich im Urlaub aber eigentlich keinen Bock.

Habe mir dann zur Sicherheit in Samarkand noch Dollar in bar besorgt. Ehe es nach hinten raus eng wird. War witzig. Erst auf einen Tipp im Hostel zur National Bank of Usbekistan. Dort geht leider nix. Aber ich bekomme den nächsten Tipp: die National Bank soll Dollar haben. Maps findet eine National Bank, allerdings in Taschkent. Der Chef vom Furkat weiß Rat, nennt eine andere Straße und nimmt mich mit seinem Auto kurzerhand mit dorthin. Da steht dann die National Bank of Usbekistan. Die NBU hatte ich eben schon, nur in einer anderen Ecke Samarkands. Die hier ist zwar repräsentativer und mondäner, aber Geld gibt’s auch nicht. War fast zu erwarten. Allerdings entwickelt sich ein lustiges Gespräch, bei dem die Milizionäre mich mit der hohen fünf verabschieden. Die sind ja überall und so natürlich auch in der Bank am Aufpassen.

Die Central Bank soll es sein, zu Fuß 30 min die Straße runter, macht aber gleich zu. Also Taxi. Das fährt irgendwann in eine kleine Seitenstraße. Wie bitte soll hier eine Bank sein? Aber der Fahrer setzt mich direkt vor einem Geldautomaten der Central Bank ab, ich kann meinen Augen kaum trauen, es gibt nicht allzu viele in Usbekistan und angeblich keinen außerhalb von Taschkent, was hiermit widerlegt ist. Der Automat kann auch noch VISA und hat auch noch nagelneue 100-$-Scheine. Und die habe ich mir ja nun sowas von verdient.

Der Registan, wörtlich Sandplatz, ist einfach unglaublich. Ein Platz voller Größe, Weite, Würde und Anmut. Bezaubernd schön, farbenfroh, ornamentreich und architektonisch schwerstens beeindruckend. Den Registan kann man sich jeden Tag anschauen. Morgens, mittags, abends, nachts. Der Sonneneinfall, der Schatten, manchmal die Wolken halten immer irgendwelche Überraschungen bereit. Ich verbringe Stunden hier und knalle meine Speicherkarte voll. Ob ich die Bilder jemals alle brauchen werde – sicher nicht. Aber es gibt so viele Perspektiven, so viele Überraschungen, so viele Schattenspiele und jeweils kommt es mir vor wie zuvor noch nicht gesehen.

Drei Medresen (Koranschulen) stehen sich hier gegenüber. Die Dimension ist einfach gewaltig. Wie sähe wohl ein Platz in Europa aus, an dem drei Kathedralen sich so gegenüber stehen? Das ungefähr wäre die Dimension.

Im Mittelalter Platz für das Verkünden von Erlassen, Gerichtsplatz und Marktplatz. Timur, der Samarkand zur Hauptstadt machte, machte den Registan zum Zentrum. Später war es der Platz von Militärparaden, Hinrichtungen und Gesetzesverkündungen. Geschichte pur. Auch wenn ich mit den Namen und Dynastien hier so meine Schwierigkeiten habe so viel wie es sind, die Medresen des Registan haben es verdient, erwähnt zu werden.

Die rechte ist die Medrese Sherdor, die „Löwentragende“, was man an den Portalen sieht. Was auffällt ist die Sonnensymbolik, Varianten des alten Sonnensymbols Swastika sind ungezählt auf der Fassade. Erbaut 1619-1632.

1641-1660 wurde die Medrese Tillakori errichtet. Sie ist die „Goldbedeckte“, ein Blick in die Moschee im Innenhof reicht, um zu sehen, woher sie ihren Namen hat. Wahnsinnig prächtig.

Bleibt noch die Medrese Ulug’bek. Sie ist die älteste am Platze, 1417-1420 erbaut, und ist architektonisches Vorbild für die gegenüberliegende Sherdor. Ulug’bek, ein Enkel Timurs, wird nachgesagt, eher Wissenschaftler denn Herrscher gewesen zu sein. Mag sein, die Medrese mit Sternemotiven lässt diese Interpretation auf jeden Fall zu.

Dazu passt auch, dass etwas außerhalb von Samarkand ein Observatorium steht. Geht auch auf Ulug’bek zurück. Und das hatte nun wirklich keinen Herrschaftsanspruch, sondern diente der Himmelserforschung, der Astronomie. Angeblich war es sein Lieblingsfach.

Zehn Minuten vom Registan entfernt stehen die Bibi-Xanom-Moschee und das Bibi-Masoleum. Natürlich nicht so mondän wie der Registan. Aber auch schön. Schön ist auch, dass hier offensichtlich nicht nur Bestandserhalt betrieben wird sondern auch Wandmalereien rekonstruiert werden.

Es gibt verschiedene Geschichten und Legenden zu dieser Moschee, die Timur für seine Lieblingsfrau Bibi errichten ließ. Letztlich folgt das übliche Stück: Herrscher will großes Gebäude, das größte und überhaupt. Hier sollte es nichts Geringeres als die irdische Nachbildung des Paradieses sein. Statische Probleme, weil – wahrscheinlich der Herrscher – zu schnell zu viel wollte. Terminprobleme. Und dann verliebt sich der Baumeister auch noch in Bibi. Gefällt dem Timur natürlich nicht. Da gibt es dann auch wieder ordentlich Stress. Am Ende ist ein Hingucker entstanden, in Verbindung mit dem Vorplatz und dem Bazar entfaltet sie in meinen Augen ihren wahren Reiz.

Der Bibi-Vorplatz geht nahtlos in den Siyob Bazaar über. Ein gewaltiger Basar. Hier gibt’s zwar auch irgendwelchen Kram, den ich jetzt als nicht ganz so wichtig einstufen würde. Aber vor allem Stände mit allen möglichen Sorten Obst und Gemüse. Stände mit allen vorstellbaren orientalischen Süßigkeiten oder allen möglichen getrockneten Früchten oder Nüssen oder beidem zusammen. Gefällt mir hier außerordentlich.

Der Platz zwischen dem Basar und Bibi wird neben dem Registan schnell zu meinem Lieblingsplatz. Unglaublich lebendig. Ständig laufen Leute durch die Gegend, vor allem Usbekinnen in ihren farbenfrohen Kleidern und Gewändern. Aber auch Touristen. Ständig kommt wer an oder fährt wer weg oder ruht sich aus oder schaut einfach nur. Langeweile? Da nich. Wunderbar.

Fehlt noch das Timur Mausoleum, das Gur Emir (Grab des Gebieters). Auch ein farbenprächtiges Ding. Vor allem die gerippte Kuppel wirkt von weitem und vor allem trägt sie blau. Wobei die Komplementärfarben das Geheimnis der Kuppel sind und in der Sonne ganz schick leuchten. Auch hier, im Innern, viel Gold und viel Glanz. Angemessen für Timur, seine Kinder und seinen Enkel Ulug’bek.

1370 betritt Timur die politische Bühne. Sah sich in der Nachfolge von Dschingis Chan. Offensichtlich strebte er danach, das Reich von Dschingis wieder zu errichten. Er gilt als bedeutendster mittelasiatische Herrscher. Allerdings hat er sich diesen Ruf auch mit Grausamkeit und kriegerischer Härte verdient, zweifelhafter Ruhm. So ließ er bei einem seiner Feldzüge 100.000 Gefangene hinrichten. Zeitweise hatte sein Heer 1.000.000 Gefolgsleute.

Als Härte zu sich selbst ist dann wohl sein Tod zu bezeichnen. 1405 schickte er sich an, mit einem 200.000-Mann-Heer China zu erobern. Nur war der Winter wohl brutal kalt. Unmengen an Arrak-Schnaps sollten ihm helfen, halfen aber letztlich nur, die Schlacht nicht mehr zu erleben. Praktisch, wenn das Mausoleum bereits vorher errichtet ist.

Ein usbekischer Nationalheld, der sein Land zu wirtschaftlicher und kultureller Größe und Blüte brachte. Andere Länder hingegen wurden gnadenlos zerstört. Vielleicht noch bedeutender gerade für heute ist sicherlich, dass er einen eigenen Architekturstil und kulturelle Identität gefördert hat, mit dem sich das Land als eigenständig gegenüber der Sowjetunion verstanden hat und heute umso mehr identifiziert.

Vom touristischen Programm her hätte Samarkand auch ein Tag kürzer ausfallen können. Einerseits. Andererseits ist Samarkand genau die Stadt, die, wenn ich an Usbekistan gedacht habe, an erster Stelle stand. Das hat mit Erzählungen von Vati zu tun oder eigentlich eher mit dem Gefühl, das er vermittelte. Das Gefühl eines fernen, orientalischen, aber auch gleichzeitig faszinierenden Landes. Und dann gibt es auch noch das Kinderbuch „Uli träumt von Samarkand“ aus dem Kinderbuchverlag Berlin. Mit dem habe ich mich als kleiner Bub schon nach Samarkand geträumt. Insofern alles okay. Und im sonnendurchfluteten Innenhof des Furkat-Hostels zu sitzen, die Gastfreundschaft zu genießen, Unmengen an Tee zu trinken, das Leben zu genießen, Teile des Berichts zu schreiben oder mit Gästen aus aller Welt ins Gespräch zu kommen ist eben auch Urlaub.

Irgendwann ist aber denn doch Zeit zum Aufbruch. Dinamo spielt gegen Sogdiana Jizzakh und das nehme ich noch mit vor der Zugfahrt nach Taschkent. Drei Mal Taschenkontrolle vor dem Zugang zum Stadion hatte ich jetzt auch noch nicht aber egal, sind ja dabei ganz entspannt die Milizionäre. Raten immer fröhlich, woher ich bin. Amerika, GB, Frankreich waren schon dabei. Und natürlich Deutschland. Meist folgt dann der Versuch, irgendwas mit Deutschland Verbindung zu bringen. „Baichern Munchen“ oder so was. Einer kann sogar „Guten Tag“. Ich bedanke mich artig mit „Добрый день“ und „Здравствуйте!“ und so haben wir beide unseren Spaß. Im Stadion werde ich dann auch angesprochen und vor allem beäugt. Ich sehe halt nicht aus wie ein Usbeke, völlig klar.

Laziz weicht mir in der Stunde vor dem Anpfiff gar nicht mehr von der Seite. Erstaunlich gut Englisch kann er und das macht es mir ja ein bissel einfacher. Einige Begriffe aus dem erlernten Schulrussisch kommen zwar mit der Zeit wieder hier auf der Reise, aber es reicht halt lediglich zum Austausch von Höflichkeiten. Der zwölfjährige Laziz will im nächsten Jahr zu Internationalen Nachwuchsboxkämpfen nach Argentinien. Und so erzählen wir die Zeit runter: Usbekistan im allgemeinen, Samarkand im speziellen, Boxen – er zählt alle aktuellen Olympiaboxer von Usbekistan auf – und natürlich Fußball in allen Facetten. Zum Abschluss legt er mir sein Lederbändchen um mein Handgelenk und sagt, dass ich nun einer seiner besten Freunde sei. Ich bin gerührt.

Diese Begegnung hier ist natürlich herausragend, aber die Gastfreundschaft und die Freude darüber, dass ich Usbekistan besuche und sichtbar Freude an dem Land habe, sind schon bemerkenswert. Es lassen sich viele und vielfältige solcher Begegnungen aufzählen.

Das Stadion ist gut gefüllt, am Ende sind es 12.805 Zuschauer. Fußballerisch naja, aber nach dem doch äußerst schwachen CL-Spiel erwarte ich für die Liga erst gar nix. Nach einem eher blassen 0:0 zur Pause endet die Partie 2:2. Es ist der 29.04.2017.

Anschließend Zugfahrt nach Taschkent, dann eine Nacht im Mekhnat und um 7:40 geht der Flieger nach Chiwa. Am Flughafen das bekannte Procedere. Vorkontrolle – erste Kontrolle – Sicherheitskontrolle. Beim Zug ist Kontrolle drei immerhin entfallen. Immer den Pass im Anschlag und den Rucksack aufs Förderband. Bin froh, dass ich die Touren von Taschkent aus als Rucksack-Touren geplant habe. Der Koffer steht derweil im Hotel.

Allerdings muss ich auch sagen, dass die Miliz dabei immer bestimmt, aber auch immer höflich ist und dass das immer recht zügig erledigt ist. Das kenne ich auch anders.

Pünktlich hebt der Flieger ab, überpünktlich ist er in Urgench, Chiwa hat keinen eigenen Flughafen. Beim Anflug ist die Oase deutlich zu sehen. Es sind klare Grenzen zwischen dem, was noch Wüste ist und dem was Stadt ist.

Die restlichen 35 Kilometer zwischen Urgench und Chiwa werden mit dem Taxi erledigt, zehn Dollar finde ich angemessen. Mag sein, dass es noch billiger geht, aber irgendwas soll ja auch beim Fahrer auf der Habenseite stehen bleiben. Die Taxipreise sind ohnehin dermaßen niedrig, in Taschkent bin ich nach dem Spiel für 15.000 Sum (knapp drei Dollar) quer durch die wahrlich nicht kleine Stadt gefahren. Es ist ein anderes Preisniveau in Usbekistan. Zusätzlich wollen und müssen letztlich viele an den Taxifahrten verdienen, die Arbeitslosigkeit ist hoch und das sichert ein kleines Einkommen. Das hat Auswirkungen auf das Preisniveau. In Chiwa ist kaum größere Industrie und nicht alle können im Tourismussektor arbeiten. Bleibt Taxifahren.

Das Isakhoja, ein kleines Familienhotel, ist direkt neben der Stadtmauer und quasi gegenüber dem Westtor und die Kalta Minor, ein Wahrzeichen Chiwas, liegt direkt auf meinem ersten Weg in die Stadt. Da das Zimmer noch nicht fertig ist so früh wie ich da bin, schaue ich doch gleich mal in die Altstadt. Auch wenn ich es schon bedenklich warm finde. Aber da muss ich wohl durch in der Wüstenstadt, bisschen an Temperaturen gewöhnt hab ich mich ja.

Die Stadt ist gnadenlos voll, irgendwie auch kein Wunder an einem Sonntag. Ich brauche kaum Phantasie, um mir vorzustellen, wie es hier war, als Chiwa Bestandteil der Seidenstraße war. Wahrscheinlich ähnlich lebendig. Handel allerorten, Karawanen, die ein Nachtlager brauchen, Sprachengewirr, vom Minarett ruft der Muezzin. Das macht er heute nicht, Usbekistan ist säkular islamistisch, was bedeutet, dass der Muezzin ohne Mikrofon auskommen muss und Bier kein Problem ist.

Sammelkarte für alle Museen kostet 44.000 Sum, mit Fotoerlaubnis 55.000 (ca. neun Dollar gesamt). Da die meisten Museen in ehemaligen Medresen sind, rentiert sich das schnell. Ob ich mir nun jedes Museum angeschaut hätte, wage ich zu bezweifeln. Und letztlich habe ich es ja auch gar nicht. Aber die Bauwerke, die Medresen oder auch die Karawansereien finde ich schon ganz spannend. Und ohne Eintritt keine Sicht auf das Innere. Passt.

Großartig auch hier die Bescheinigung. Mit offiziellem Stempel und mit angehefteter offizieller Fotoerlaubnis. Ich bin begeistert. Die Frau von der Tourist-Info auch. Dass ich so begeistert bin. Genauso geil auch, dass die Bescheinigung von jedem Museum brav abgezeichnet wird. Also von fast jedem. Da werden sich also Nachlässigkeiten im Umgang mit offiziellen Dokumenten erlaubt.

Also hinein ins Gewühl. Ich brauch das in dieser Intensität ja eigentlich nicht, aber hier gehört es dazu. Genauso wie ein Basar. Ohne dieses Gewühl, ohne dieses Stimmengewirr, ohne diese bunten Stände würde doch etwas fehlen. Neu für mich ist, wie viele Usbeken mich intensiv mustern und ein Foto mit mir wollen. Dabei sollten sie doch den Anblick von Europäern gewohnt sein, sind ja genug Reisegruppen hier unterwegs. Aber kaum Individualreisende. Vielleicht ist das der Unterschied.

Um die Mittagszeit kann ich in mein Zimmer. Gut so. Langsam wird es mir etwas zu heiß hier draußen. Der Empfang ist von überragender Herzlichkeit und sorgt in letzter Konsequenz für die Änderung meiner ursprünglichen Pläne. Übernachtung in Nukus wird storniert.

Für den Nachmittag habe ich mir zwei Minarette aufgehoben. Nun ist auch weniger los hier. Danach noch einige andere Ecken, Medresen und Museen. Irgendwann ist der Speicher voll, die SD-Karte gefühlt sowieso. Nochmal Ruhe im Hotel, Abendessen, den Übergang des Tages in die Nacht verfolge ich von der Hotelterrasse aus. Toll.

Abends übrigens ist die Altstadt menschenleer. Ein paar streifen noch herum, ein paar Restaurants oder Teehäuser freuen sich über Gäste. Aber die Händler sind weg, die Usbeken sind weg, die Touristen sind weg. Und in den Mauern der Altstadt wohnt kaum jemand.

Chiwa ist der Traum aus Tausend und einer Nacht, Chiwa ist Orient, Chiwa ist Seidenstraße. Unverfälscht. Unmittelbar. Unglaublich. Und Chiwa ist Oase pur. Heiß ist es hier und es gibt keinen Schatten. Das Leben pulsiert, die Händler geben ihr Bestes und unter die Usbeken, die Chiwa besuchen, mischen sich die zahlreichen Touristen. Mehr noch als in Samarkand.

Ungezählte Museen warten und letztlich ist die Altstadt ein Freilichtmuseum. Das faszinierendste, das ich bisher gesehen habe. Zahlreich sind die Medresen, Moscheen und Minarette. Auf das Islom-Xo’ja-Minarett und Minarett der Juma-Moschee kann man rauf. Der Aufstieg ist abenteuerlich. Keine Stufe gleicht der anderen, manche sind zarte 40 cm hoch, Beleuchtung gibt’s nicht und Fenster nur ganz wenige. Oben angekommen, ist eigentlich Platz für maximal drei Leute, aber es drängeln sich natürlich mehr. Und es kommen immer welche nach. Beste Bedingungen also. Aber es funktioniert. Belohnung ist ein grandioser Blick auf die Altstadt. 6.000 Sum (ein Dollar) sind mehr als gut investiert.

Und auch hier, in der sandfarbenen Altstadt, ist es spannend, was die Sonne zu welcher Tageszeit mit den Steinen anstellt. Auf der Festung versammeln sich abends ein paar Touristen, um ein von der Abendsonne veredeltes Foto mitzunehmen. Die Festung ist gewissermaßen der Startpunkt für die die halbe Altstadt umfassende Festungsmauer. Einstieg ist allerdings am Nord-Tor.

Der zweite Chiwa-Tag beginnt mit eben dieser Stadtmauer, die ca. 200 Jahre alt ist, aber mit Sicherheit einige Vorläufer hatte. Bei einer 2.500 Jahre alten und immer wieder umkämpften Stadt kann ich mir es nicht anders vorstellen. Noch ist bedeckter Himmel, was angenehme Temperaturen beschert, sogar den einen oder anderen Luftzug. Das ist natürlich ideal für den geplanten Gang. Schatten ist ja weniger auf so einer Stadtmauer.

Sehr spannend das Teil, insbesondere wenn man bissel auf die Verwitterungen schaut. Hochgezogen wurde die Mauer aus Lehmziegeln, verkleidet mit Stampflehm. Spannendes und schnell herzustellendes Baumaterial und in der Wüste sicher auch angemessen. Nur eben nicht ganz so witterungsbeständig, insbesondere was heftigen Regen betrifft. Aber wann regnet es schon mal in der Wüste? In Chiwa – um beim Thema zu bleiben – keine 100 Tage im Jahr. Da ist die Aufwand-Nutzen-Frage in meinen Augen schnell zugunsten des Stampflehms entschieden.

Ab und an ist ein Windzug gar nicht mal so angenehm. Es ist halt wüstenmäßig feinsandig. Chiwa liegt auf knapp 100 Metern Höhe und ist eine Oase. Auch so ein neues Ding für mich. Gibt es ja in Europa nicht. Temperaturen gehen im Sommer richtig ab, im Winter können sie allerdings auch bissig kalt sein. Um die Stadt gibt es jetzt nicht nur Sand, aber doch recht viel. Der dann bei Wind auch mal unangenehm herein zieht. Großartig dieses Gefühl, Sand auf den Zähnen zu haben. Mal sehen, wie es morgen wird auf der Tour nach Moynak.

Später entdecke ich in brütender Hitze eine alte Begräbnisstätte in direkter Nähe zum Pahlavon-Maxmud-Mausoleum. Oder gilt das als Friedhof? Ich kann es nicht einordnen, finde dazu auch nicht viel im Netz. Egal. Ich finde hier eine erhabene Schlichtheit. Einfach schön.

Auf dem Weg zurück zum Hotel sehe ich, dass es hier, im Gegensatz zu Aserbaidschan und Georgien, genug Postkarten gibt, um die Bedürfnisse der Touristen zu befriedigen. Also greife ich die Tradition, die in Zeiten von WhatsApp oder FB ja zu verschwinden droht – auch ich bin da anfällig – gleich doppelt auf. Einmal in Samarkand und einmal in Chiwa. Mal sehen, wann sie ankommen. Die aus Georgien Ende März sind ja passenderweise angekommen, als ich in Samarkand war. Ende April. Immerhin.

Zurück im Isakhoja. Herzlich waren die Leute im Furkat bereits, die bezaubernde Umida setzt dem Ganzen noch einen drauf. Seit 2009, als ihr Vater starb, führt sie das Isakhoja zusammen mit ihrer Mutter. Moment, denke ich, die Geschichte kenne ich doch von Armin und siehe da, die Nachfrage ergibt, dass ich nicht nur im Furkat zufällig auf seinen Hotelspuren wandelte, sondern auch jetzt hier im Isakhoja.

Die Geschichte mit ihrem Pa erzählt Umida eher beiläufig, eigentlich erzählen wir über den Tourismus, über Chiwa, über ihr Hotel. Und sie erzählt von dem Dilemma, in dem sie steckt. Eigentlich würde sie in das Familienhotel gerne investieren, die Stadtverwaltung aber hat ihr kürzlich von Ideen berichtet, am Platze ein Kolosseum errichten zu wollen, der neue Präsident will den Tourismus fördern. Da wäre dann das Hotel im Wege.

Seitdem Stillstand – auf beiden Seiten. Die Stadt ist seither nicht konkreter geworden, Umida kann nicht investieren. Nicht in ein Hotel, welches dann vlt. doch abgerissen wird für ein Ding, das Open-Air-Veranstaltungen anbieten soll.

Und dann erzählt sie, dass sie eigentlich immer einen guten Kontakt zur Deutsch-Usbekischen Gesellschaft hatte, seit Jahren aber keinen Kontakt mehr bekommt. Das Problem indes ist schnell gelöst. Tausche die „0“ gegen ein „+“ bei der Telefonnummer. Und während ich auf der Homepage des Verbandes nach weiteren Infos und Ansprechpartnern für Umida schaue, telefoniert sie mit Dagmar, dem Kontakt von vor ein paar Jahren. Ihr Strahlen veredelt meinen Urlaub. Und gerade weil diese Geschichte auch mit ihrem verstorbenen Pa zu tun hat, berührt sie mich umso mehr.

Am nächsten Tag geht’s nach Moynak. Um 7.00 Uhr sammelt mich der Fahrer, der nur Usbekisch spricht, ein. Egal, irgendwie werden wir uns schon verstehen. Die Usbeken, mit denen ich über Moynak gesprochen habe, haben nicht ganz verstanden, warum ich da hin will, so mein Eindruck. Wasser ist ja da nicht und die Geschichte vom Aralsee scheint genau nicht ihr Thema zu sein. Wobei das letztlich keine Ignoranz ist, denn dass das auf mein historisch-geographisches Interesse stößt, sehen sie schon.

Es gibt halt andere Themen und Prioritäten und natürlich, wenn man die Seidenstraße mit all der Kultur, Architektur und Geschichte vor der Nase hat, liegt ein Ausflug in die Wüste zu einem See, den es da, wo ich hinwill, nicht mehr gibt, nicht wirklich nahe.

Erste Station sozusagen ist die Ponton-Brücke über den Amudarja. Anhalten oder gar ein Foto machen ist streng verboten. Strategisch wichtige Objekte – Flughäfen, Bahnhöfe, aber auch wichtige Brücken – in Usbekistan besser nicht fotografieren. Manche Brücken, wie eben diese, sind sogar bewacht. Der Amudarja ist hier ein breiter Strom.

Nach der Ponton-Brücke geht es erst mal lange durch Landschaft und vor allem durch Wüste. Bis mitten in der Wüste der Chilpik kommt, ein weithin sichtbarer Hügel mit bester Rundumsicht. Für diesen Moment haben wir den Amudarja wieder und nichts deutet auf sein baldiges Verschwinden hin. Und man hat einen klaren Blick auf die unendliche Wüste. Durch die es anschließend wieder kilometerlang weiter geht. Dazwischen aber auch weite Salzflächen.

Wir erreichen Nukus und damit die Hauptstadt von Karakalpakstan. Streng genommen sind wir also aktuell nicht in Usbekistan unterwegs. 1936 wurde die Karakalpakische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (Karakalpakische ASSR) in Usbekistan eingegliedert. Seitdem ist sie eine autonome Republik innerhalb Usbekistans. Mit eigenen Staatssymbolen, eigenem Parlament, eigener Verfassung – aber orientiert an Usbekistan. Ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits ist man orientiert an Usbekistan, hat auch den Sum als Währung, andererseits gibt es separatistische Bestrebungen.

Die Strecke zwischen Nukus und Moynak zieht sich dann noch mal. Fakt ist, ich hab mir mit dieser Tour nicht die einfachste ausgesucht, aber das war schon aufgrund der Thematik klar. Da ist es ja quasi nur konsequent, dass die Tour dahin auch nicht die einfachste ist. Auch wenn die Tour durch die Wüste aufgrund des nicht alltäglichen Anblicks ihren Reiz ausmacht.

Irgendwo auf dem Wege zwischen Nukus und Moynak verlässt den Amudarja die Kraft und das Wasser, wo genau sehen wir nicht. Früher war hier ein ausgedehntes Flussdelta und der Amudarja einer von zwei Flüssen, die den Aralsee speisten. Wir kommen in Moynak an. Der Ort wirkt trost- und leblos. Zuerst das Museum, das versucht, die Katastrophe zu dokumentieren. Bitter vor allem die älteren Fotos, die einen Aralsee zeigen, auf dem noch gefischt werden konnte und die eine intakte Fischfabrik zeigen. Das Museum wird nur für die drei, vier Touristen am Tag geöffnet, länger macht keinen Sinn. Es verstärkt diesen trostlosen Eindruck.

Es geht weiter zum Aralsee-Ufer. Wo ein Schiffsfriedhof steht. Wenn man da so steht und schaut, hat man eher das Gefühl, dass sich hier die Wüste fortgesetzt hat und eigentlich ist es ja auch so, nur dass hier mal bis zum Horizont Wasser war. Nun ist hier bis zum Horizont Wüste. 100 Kilometer weiter kommt das heutige Ufer. Aralkum heißt diese neuentstandene Wüste, die die benachbarten Kizilkum und Karakum nun um eine dritte ergänzt. 1960 war da noch Wasser.

Eine ökologische Katastrophe, die auch das Binnenklima verändert hat. Im Winter bis zu minus 50 Grad mit eisigen sibirischen Stürmen, die früher der Aralsee abgehalten hat, im Sommer bis plus 50 Grad. Weitere Wasserverluste sind die Folge.

Wer oder was nun dafür verantwortlich ist, dass der Aralsee, einst viertgrößter See der Erde, nun quasi nicht mehr existent ist und dass die Stadt Moynak, einst pulsierende Fischerstadt, dem Tode geweiht ist – so mein Eindruck -, ist nicht einer einzigen Ursache zuzuschreiben. Die einen sagen, dass es tektonische Verwerfungen sind. Die anderen sagen, dass es die gnadenlose Ausbeutung der Flüsse Amudarja und Syrdaja durch ein weitverzweigtes Kanalsystem zur intensiven Bewässerung der Baumwollpflanzen ist. Vermutlich ist beides verantwortlich. Während der Aralsee Wasser verlor, wurde das Kaspische Meer voller. Wenn man also von Wechselwirkungen zwischen beiden Binnenmeeren ausgehen kann und wenn man davon ausgehen kann, dass es einen unterirdischen Wasserabfluss gab oder gibt, dann ist es ein Indiz für These I.

Erklärt aber noch nicht hinreichend, warum der Amudarja den Aralsee nicht mehr erreicht. Die Usbekische Teilrepublik wurde in der UdSSR zum größten Baumwollproduzenten der Welt. Baumwolle ist eine nationale Angelegenheit in Usbekistan, aber insgesamt ein großes Thema in Mittelasien. Seit Jahrhunderten. Den fruchtbaren Boden hat auch schon Lenin erkannt. Seitdem wurden intensiv Kanäle gebaut, u.a. der Karakumkanal, und der Baumwollanbau intensiviert. Bis heute. Früher haben Amudarja und Syrdarja jährlich 56 km3 Wasser in den See transportiert, das ist zwischenzeitlich auf 5 km3 gesunken und beim Amudarja mittlerweile bei 0 km3.

Baumwolle benötigt viel Wasser, sehr viel. Das kann nur über ein weitverzweigtes Kanalsystem auf die Felder gebracht werden, die Böden sind zwar fruchtbar, aber eben auch extrem trocken. Der Amudarja wird angezapft. In großem Stile. Mit entsprechenden Konsequenzen, die ich heute sehen durfte. Der Baumwollexport macht aber auch ca. ein Fünftel des Bruttoinlandproduktes Usbekistans aus. Ein Teufelskreis.

Baumwolle braucht guten Boden, 200 frostfreie Tage am Stück und extrem viel Wasser, für ein T-Shirt werden bis zu 2000 Liter Wasser aufgewendet. Hinzu kommt ein hoher Verbrauch an Mineraldünger und Pestiziden.

Darüber hinaus ist die Bodenversalzung ein großes Problem. Bis zu 250 Gramm Salz kann ein Liter des Grundwassers in Mittelasien enthalten. Das Grundwasser ist nicht sehr tief, das Wasser verdunstet schnell, das Salz fällt aus. Bei unserer Fahrt waren viele Flächen mit Salzkruste zu sehen. Beim Aralsee stieg der Salzgehalt mit abnehmendem Wassergehalt. Zum Vergleich: Meerwasser hat ca. 35 Gramm Salz pro Liter.

Hinzu kommt, dass mit dem Zusammenbruch der Planwirtschaft, mit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion zwar die Teilrepubliken in die Unabhängigkeit aufbrechen konnten, gleichzeitig aber auch Industrien zusammenbrachen und Wirtschafts- und Versorgungssysteme. So gab es wohl früher eine Kanalbehörde, die u.a. auch für den Karakumkanal verantwortlich war. Seit es sie nicht mehr gibt, ist die Wartung des Kanals nicht mehr umfassend gewährleistet.

Es ist definitiv eine Grenzwerterfahrung. Vom Fahren her jetzt nicht, sechs Stunden hin, zwei Stunden vor Ort, sechs Stunden zurück habe ich oft genug mit Eintracht. Aber dieses Meer, was keines mehr ist, dieser Boden, der versalzt, das Land, welches Ernte zulässt – irgendwie – aber offensichtlich neben dem Salz so voller Schadstoffe ist, dass die Leute hier reihenweise erkranken oder an Blutkrebs sterben. Natürlich kann ich Karten lesen und mir anschauen, wie der Aralsee über die Jahre zurückgegangen ist. Aber es macht für mich einen Unterschied, das Drama direkt zu sehen, zu sehen, was es mit einer Landschaft macht, zu sehen, was es mit einem Ort macht und zu sehen und fast schon mehr zu fühlen, wie es ist, an einem Ufer eines einst riesigen Sees zu stehen und jetzt kilometerweit nichts als Sandwüste zu sehen. Krass, absolut krass. Passend dazu pfeift der Wind unerbittlich und unangenehm am Ufer von Moynak.

1976, als mein Pa in Usbekistan war, war Moynak noch eine florierende Hafenstadt mit Fischfang und allem. Heute – nur 40 Jahre später – geht’s 100 Kilometer mit dem Jeep durch die Wüste, um das Ufer zu erreichen.

90.000 Menschen waren nur in den Fischfabriken in und um Moynok beschäftigt, dazu kommen ja noch der Fischfang und andere Wirtschaftszweige. Heute wohnen noch ca. 15.000 in der Region um Moynak.

Es gibt verschiedene Karten und Satellitenaufnahmen, die den Rückgang des Aralsees und letztlich auch die rasante Geschwindigkeit des Rückgangs dokumentieren. Und es gibt unzählige Artikel, auch einige Bücher. Alle sind gleich bitter.

National GeographicAral Sea StudiesTU FreibergWiki

Quelle: https://earthobservatory.nasa.gov/Features/WorldOfChange/aral_sea.php

Quelle: http://newsderwoche.de/welt/asien/2127-kasachstan-rettet-den-nordaral.html

Am nächsten Tag Morgens bin ich noch platt. Von der gestrigen Aralsee-Tour? Von der Sonne? Oder von der Tour insgesamt?

Viel kommt jetzt nicht mehr. Heute die Zeit in Chiwa rumbringen. Nachmittags geht der Flieger nach Taschkent. Und morgen früh geht es schon zurück nach Braunschweig. Es fühlt sich als viel zu früh an. Obwohl ich nun eigentlich alles, was ich mir vorgenommen habe, erledigt habe. Aber vielleicht muss das ja so sein, vielleicht ist das das beste Gefühl, das man am Ende des Urlaubs haben kann. Alles richtig gemacht zu haben und trotzdem das Gefühl zu haben, noch ewig hier bleiben zu können und zu wollen.

Selbstverständlich spielt da auch die überragende Gastfreundschaft hinein. Diese Gastfreundschaft kommt aus dem Herzen, aus der Seele und berührt mein Herz selbstverständlich noch mehr als all die ganzen Steine oder blauen Kacheln. Und die haben es mir schon schwer angetan.

So laufe ich also zum Abschluss ein wenig ziellos durch Chiwa, denn ich habe kein wirkliches Ziel mehr. Auf das Islom-Xo’ja-Minarett nochmal. Die Aussicht war beim ersten Mal überragend und isses immer noch. Eigentlich mache ich es aber wegen des so abgefahrenen Aufstiegs. Und weil ich diese alte Begräbnisstätte von oben sehen will. In Chiwa gilt: wer innerhalb der Stadtmauer stirbt, soll auch innerhalb dieser beerdigt werden.

Und da ich bisher an dem Pahlavon-Maxmud-Mausoleum immer vorbei bin, weil mich alles drum herum mehr reizte, gehe ich nun doch hinein. Is jetzt nicht so spannend. Aber ein Schluck aus dem Brunnen, der verjüngende Wirkung haben soll, darf’s doch sein. Vielleicht hilft’s ja.

Zum Abschluss gibt mir Umida eine Karte vom Isakhoja. Da steht der volle Name drauf: ‚Isakjon-Umidabonu‘. Das Hotel trägt also die Namen von Vater und Tochter, auch so kann man Familientraditionen pflegen. Und wie ihr Vater arbeitet Umida zusätzlich als Guide in und um Chiwa. So kommen wir auf meine Moynak-Tour zu sprechen, die sie ja schon ein wenig irritierend fand, wenn ich das richtig interpretiert habe. Aber es gibt eben Traditionen, die die Eltern weitergeben. In meinem Falle auf den Aralsee bezogen das Interesse an Geographie und Geschichte vom Vater. Diese Traditionslinie leuchtet ihr ein.

Beim dritten Aufenthalt im Mekhnat nehme ich meinen zwischengeparkten Koffer in Empfang und versuche, irgendwie die Zeit totzuschlagen. Essen im Al Aziz gehört dazu. Liegt in der Nähe des Fernsehturms und so sehe ich den abschließend auch noch. Die Wahl eher zufällig. Is nett gelegen am Kanal, dadurch bissel gekühlt und man kann schön an einem Springbrunnen sitzen. Das Schaschlik ist großartig.

Und es beginnt das in diesen Tagen zur schönen Gewohnheit gewordene Spiel. Bei „Germania“ auf die Frage nach dem Herkunftsland packen Kellnerin oder Taxifahrer die zwei oder drei Worte aus, die sie auf Deutsch können, ich komme mit meinen fünf Worten russisch und das Eis ist gebrochen. Die Verständigung wird dadurch zwar nicht zwingend leichter, aber sie wird herzlicher. Schön isses.

Der Flug geht 5:35. Blöde Zeit. Aber dafür Direktflug. Bei dem zu erwartenden Dokumentengedöns scheint es mir sinnvoll, bissel früher da zu sein. Schlafen ja oder nein ist hier die Frage. Ich entscheide mich für Monaco-Juve auf dem Zimmer, wegen der Zeitverschiebung spielen die erst um 24.00. Eine Stunde noch überbrücken und dann ist das Taxi da.

Am Flughafen Riesenchaos. Es dauert gefühlt ewig und wie oft mein Handgepäck durchleuchtet wurde oder irgendwer auf meine Dokumente schauen wollte, hab ich am Ende nicht mehr gezählt. Irgendwann sitze ich im Flieger und der fehlendende Nachtschlaf fordert. Der Flug wird also fast komplett schlafend verbracht. Genau mein Plan.

Fazit: Wahnsinnserfahrungen, wahnsinnig spannendes Land, wahnsinnig spannende und gastfreundliche Menschen, wahnsinnig interessante Architektur und Geschichte.

6 commenti su “USBEKISTAN – April : 2017

  1. Armin sagt:

    großartiger Bericht! Hast dich echt ins Zeug gelegt. Es gab ja echt ein paar Gemeinsamkeiten bei unseren Touren, auch wenn 8 Jahre dazwischen liegen. Danke, dass du das erwähnst.

    Und die vielen Panos! Gerade da, herrlich.

  2. Henning sagt:

    Sehr geiler und informativer Bericht. Die Fotos machen mich ja doch sehr neugierig. Das sieht wirklich alles sehr viel schöner aus als ich mir das vorgestellt habe!

  3. Steffen Decker sagt:

    Danke Holger. Die Welt ist doch so viel facettenreicher als man hier so eingetrichtert bekommt.
    Liebe Grüße
    Steffen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.