Irgendwann war sie da, die Idee, Skopje und Sofia miteinander zu kombinieren. Und bei 250 km Entfernung zwischen beiden Hauptstädten sollte das auch nicht so schwer sein.
Zunächst geht’s per Flieger nach Skopje, schon beim Anflug wirkt die mazedonische Hauptstadt wirklich klein, was sich später bestätigen wird. Nach dem Zerfall des Balkans ist halt nicht viel an Großstaaten übriggeblieben und dementsprechend klein sind natürlich mancherorts die Hauptstädte für so Ministaaten wie Mazedonien. Dementsprechend stellt sich die Idee, lediglich einen Tag für Skopje einzuplanen, als genau richtig heraus.
Mitternacht bei der Ankunft am Hotel sehe ich sofort wieder, warum es mich immer wieder auch genau in diese Regionen verschlägt, die Tage später in Sofia werden dies nachhaltig bestätigen. Das Leben und die grundsätzliche Städtearchitektur haben eine andere Ordnung, stellen sich für das Land der genormten und gezirkelten Bordsteine chaotischer dar. Und genau darin liegt der Reiz, der Charme, das Überraschende. Nicht immer ist klar, warum nun da jetzt ein Bordstein ist, nicht immer ist klar, wie genau jetzt welche Höhe zustande gekommen ist, denn da gibt es erhebliche Variationsmöglichkeiten, und quasi nie ist klar, wer hier wie parkt und warum gerade in diesem Moment unzählige Taxis einen befördern wollen. Es ist auch um Mitternacht noch unglaublich viel Bewegung auf der Straße, am nächsten Tag wird das natürlich noch mehr sein.
Nach dem Ausschlafen in die Altstadt, die verwinkelt mit diversen kleineren Läden aufwartet und vor allem mit einem beständigen Geruch nach gegrilltem Fleisch. Es ist mittlerweile für mich das Bild für Altstädte auf dem Balkan. Verwinkelt, hier und da einiges an Schmiedehandwerk und viel gegrilltes Fleisch. Vegetarier haben es auf dem Balkan schwer.
Danach folgt die Festung Kale, die einen Blick auf die Innenstadt bereithält, doch bevor ich diese näher betrachte, will ich mich von der Existenz meines Busreisetickets nach Sofia überzeugen. Bestätigung meiner Bestellung oder Bezahlung habe ich bisher nicht gesehen und auf meine innere Überzeugung, dass das schon passen werde, will ich mich bei der Abfahrtszeit denn doch nicht verlassen. Also schlage ich dort in einem kleinen Büro auf, in welchem diverse handschriftlich ausgestellte Reisetickets herumliegen. Nur meines nicht. Nun ja. Frage, ob meine Buchung denn eingegangen ist, ergibt erstaunlicherweise ein Ja, aber noch kein Ticket. Es gelingt dann doch und mich beruhigt es schon, das Ticket für nachher bereits jetzt in den Händen zu halten bei der doch recht exotischen Abfahrtszeit von 23:59 Uhr. Beruhigt die Nerven schon ein wenig.
Und so kann dann Skopje noch ganz in Ruhe erkundet werden. Ziemlich markant ist dabei der alte Bahnhof, der neben großen Teilen der Stadt 1963 bei einem Erdbeben extrem in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er steht heute noch genau wie in den Minuten des Erdbebens. Mutter Teresa darf ebenso nicht fehlen wie diverse Statuen oder der Triumphbogen, die im Wesentlichen auf Bürgermeister Koce Trajanovski und seine Partei zurückgehen, errichtet so ab 2008, dem Regierungsbeginn. Das Programm ist an mazedonischen Nationalismus kaum zu überbieten. Die Statue Alexanders des Großen z.B. ist 22 Meter hoch und ruft auch Griechenland auf den Plan, weil die Alexander natürlich als ihren Helden betrachten und Anspruch auf den Namen Mazedonien erheben, da bleibt so eine Statue nicht unwidersprochen.
Albanien ist mit dem Triumphbogen nicht einverstanden, weil dort auch Teile als zu Mazedonien gehörig dargestellt werden, die heut zu Albanien gehören. Und um die Geschichte rund zu machen, gibt es auch noch Druck von Bulgarien wegen der Zar-Samuil-Statue, denn Zar Samuil gilt als einer der letzten Zaren des bulgarischen Reiches. Ziemlich kompliziert das alles, aber eben auch irgendwie Balkan. Fragen nach Sinnhaftigkeit oder besser noch Finanzen werden zudem einfach weggewischt. Dicke nationalistische Eier zeigen als politisches Programm.
Noch aber ist ja der Höhepunkt des Tages nicht erreicht. Aufgrund der eintönig-gewaltigen Innenstadt gehe ich recht früh zur Arena Philip II (auch hier muss es pathetisch sein: Philip ist König von Mazedonien und – natürlich das auch noch – Vater von Alexander dem Großen) und gönne mir den Luxus, einmal drumherum zu laufen. Naturgemäß bei einem U-21-EM-Qualispiel nicht viel los, ich habe nichts anderes erwartet. Nicht erwartet hingegen habe ich, dass jeder Eingang polizeilich besetzt ist. Bei einem Spiel, wo ein Eingang offen haben wird und bestenfalls noch ein VIP-Bereich? Nicht ersichtlich. Aber noch bin ich ja nicht am Haupteingang und der Kasse, wo ich gedenke, meine Karte fürs heutige Spiel zu kaufen. Ich ernte reihenweise irritierte oder ratlose Blicke. Karten im freien Verkauf? Nein. Hier nicht. Irgendwann kann mir jemand auch den Hintergrund sagen: Mazedonien – Israel ist als Hochsicherheitsrisikospiel eingestuft. Ein U-21-Qualispiel, welches keinen Menschen auf diesem Planeten interessiert, außer vielleicht mich!!! Karten gibt’s nur beim Verband. Aber der ist ne halbe Stunde Fußweg entfernt und macht eh in fünf Minuten zu.
Irgendwann läuft mir ein kompetent aussehender und zudem deutsch sprechender Mensch über den Weg, leider kann ich ihm keines seiner zahlreich herumhängenden VIP-Bändchen abschwatzen. Aber ich kann ihn immerhin damit beeindrucken, nur für dieses Spiel hierhergekommen zu sein, was ja nicht mal gelogen ist. Und der Kollege hält Wort, besorgt mir, nachdem er erstmal einige endlose Minuten im VIP-Bereich verschwunden ist, eine Karte, mit der ich diesem Spiel noch beiwohnen kann. 300 Zuschauer, v.a. Funktionäre oder VIPs, hat dieses Spiel dann übrigens insgesamt.
Ein harmloses israelisches Studentenpärchen, findet dann auch noch den Weg ins Stadion und kann sich ein lockeres 3:0 von Israel ansehen. Aber was ist denn das bitteschön für ein krudes Denken, wenn harmlose Israelis nicht mal mehr zu einem Spiel der eigenen Nationalmannschaft kommen? Und, ich wiederhole mich, ein Qualispiel der U-21-Mannschaften. Wen interessiert denn so‘n Scheiß wirklich?
Danach also zum Bahnhof, der das erwartete Flair hat, aber das trifft nicht auf den Bus zu, der auch wirklich zu dieser exotischen Zeit fährt, mich mitnimmt und recht schnell auch in einen bemerkenswert tiefen Schlaf hüllt. Pünktlich fünf Uhr morgens ist dann die Ankunft in Sofia. Der Transfer von Skopje ist also geglückt, letztlich waren da ja immer noch kleine Restzweifel und ein kleines Fragezeichen hinsichtlich des Wie. Und nachdem ich mich mit frischem bulgarischen Geld versorgt habe, kann ich auch den Taxifahrer bezahlen. Mit den paar Rest-Dinar aus Skopje, meinen Euros und nun den Leva habe ich drei Währungen gleichzeitig im Portemonnaie, was schon ein witziges Gefühl ist, hat man ja im Zentrum Europas nun auch nicht mehr zwingend so oft.
Sofia
Lang hält sich die Stadt nicht damit auf, mir zu zeigen, warum ich so gern im Osten, warum ich so gern in solchen Städten unterwegs bin. Sofia ist die Stadt, in der die Taxifahrer noch rauchen, in der eine alte Straßenbahn auch wirklich noch alt ist, in der an großen Kreuzungen die Ampeln noch von Polizisten in und auf ihren Podesten getaktet werden, in der an verschiedenen Ecken die Zeit stehen geblieben ist, in der auch mal unvermittelt Löcher im Gehweg sind oder Gehwegplatten fehlen, in der jede große Kreuzung eine dementsprechende Unterführung hat, die, wie es sich für eine ehemalige sozialistische Metropole gehört, noch Ausmaße haben, die die großzügige Unterbringung von diversen Läden und Geschäften ermöglicht. Hat man zwar in verschiedenen Städten auch immer mal wieder, aber quasi an jeder zweiten Kreuzung ist denn doch eher ein markantes Ostphänomen. Kurzum: eine Stadt, in der das Leben lebenswert ist und in die Zukunft gelebt wird und in der man sich selbst herrlich aus der Zeit nehmen kann.
Zunächst geht es entlang der Achse Todor Alexandrov / Tsar Osvoboditel. Die Statue der Heiligen Sofia, 2001 aufgestellt, zieht die Aufmerksamkeit, aber nicht lange, denn unmittelbar danach beginnt das, was die Repräsentationsmeile genannt werden kann. Breit, richtig breit, sind die Straßen und zudem auch überwiegend mit Kopfsteinpflaster ausgestattet, so dass es nicht nur optisch sondern auch für die Ohren den deutlichen Verweis auf östliche Gefilde gibt. Wer dieses markante und dominante Geräusch nicht kennt, der war nie im Osten. Dazu kommen dann hier in Sofia diese repräsentativen Gebäude, die unschwer als Regierungsgebäude ausgemacht werden können. Aber auch das eine oder andere heroische Denkmal ist dazwischen, die Stadt will sich der historischen Wurzeln beständig vergewissern und diese selbstverständlich auch zeigen. So ergibt sich ein Mix aus verschiedenen Epochen und Stilen.
Passend zu den monumentalen Prachtstraßen steht die genauso monumentale Alexander Newski Kathedrale im Zentrum der Stadt und hier und da einige Kollektivdenkmäler. Das Leben ist halt ein ständiger kollektiver Kampf. Übrigens auch der im II. Weltkrieg, in den ja auch Bulgarien verwickelt war. Im Park nahe dem Nationalstadion kann man ein paar dieser Denkmal-Exemplare bestaunen. Natürlich kommt ihnen nicht mehr die Aufmerksamkeit zu wie in Zeiten des real existierenden Sozialismus, wo das Gedenken an den II. Weltkrieg ja zum Staatskult gehörte, aber man kann die Rituale quasi noch erspüren.
Sofia hat klare Achsen und Kreuzungen. Aber nicht nur die Achsen zählen, Sofia ist geradezu unglaublich grün, hat unglaublich viele Parks, Entspannung ist hier also allgegenwärtig. Natürlich gibt es auch ein Sofia abseits der Achsen und abseits der Parks und in den Außenbezirken regiert natürlich die Platte mit schnurgeraden Alleen oder Boulevards, welche eigentlich nur extrem breite Straßen sind. Zumindest eben in den Außenbezirken.
Viele der Stadthäuser wird man nicht als schön bezeichnen wollen, eher als zweckmäßig und vom Zahn der Zeit teilweise heftig angeknabbert. Gleichwohl scheint es, dass man sich hier mit dem geringeren Standard bestens arrangiert hat, vlt. auch gezwungenermaßen. Aber gerade im Zentrum gibt es immer wieder ein paar Highlights zwischendrin. Andererseits ist es aber auch eine Stadt im Aufbruch. Viel passiert. An vielen Stellen. Gleichzeitig.
Gerade das ist es, was mich an Sofia so begeistert. Diese Kontraste, dieses sich verändernde Bild nur einen Straßenzug weiter, diese Gleichzeitigkeit von Aufbruch und gepflegten, althergebrachten Dingen, dieses gleichzeitige Nebeneinander von sozialistisch-architektonischem Überwältigungsstil, brüchig-alten Straßenzügen und pulsierend neuen Unternehmungen.
Direkt neben der Alexander Newski Kathedrale ist die Kirche der heiligen Sofia, die längst in ihrem Schatten steht, dabei ist ja gerade sie die Namensgeberin von Sofia. Und hier beginnt auch, was ich eben angedeutet habe, der Kontrast. Eben noch ein Platz für die Kirche mit Platz für unzählige Touristenbusse und einen Straßenzug weiter Häuser, die nun nicht mehr so frisch aussehen, die Farbe, Putz und ein Lifting gebrauchen können. Und dass die elektrischen Leitungen anders verlegt auch grundsätzlich etwas vertrauenserweckender aussähen, ist recht schnell klar. Und dennoch findet gerade auch hier das Leben statt, bunt, unverfälscht und mit natürlichem Charme. Spannend ist, was hier los ist, z.B. an der Kreuzung, wo es zur Knyaz Alexander Dondukov geht. Kleinere und größere Läden, Kreuzungen mit der Gleichzeitigkeit von Straßenbahn, selbstverständlich vierspuriger Fahrbahn und chaotischem Autoverkehr, der übrigens von diesen hinreißenden O-Bussen zusätzlich dominiert wird, gewöhnungsbedürftigen Gehwegen und irgendwelchen Polizisten, die das irgendwie regeln wollen und dies erstaunlicherweise auch recht entspannt schaffen, zumindest wirkt es so auf mich.
Ein paar Ecken weiter gibt es so etwas wie den Ort der Idylle, zumindest scheint mir dies in dem Moment, als ich da bin so. Der Ort ist der Zeit enthoben, keine Hauptstraßenhektik, die Ecke hier genügt sich selber und wird belebt von einer dieser wunderschönen alten Straßenbahnen. Es ist ein entzückender Ort, vielleicht auch weil ich hier ganz in Ruhe, abseits von allen Straßen, die andere interessieren und ein wenig vom Grün beschienen, warten kann … warten auf die nächste Straßenbahn, die ich wohl noch nie so ästhetisch um die Ecke hab biegen sehen wie an der Iskar-Ecke. Großartig.
Wenig später dann die auf mich eher kurios anmutende Szenerie am Levski-Denkmal, welches inmitten eines Kreisels aufgestellt ist, was sicher nicht alltäglich ist. Damit nicht genug, zeigt hier Sofia einen bemerkenswert pragmatischen Umgang mit diesem Denkmal, indem der Kreisel gleichzeitig auch noch ein Wendehammer für die Straßenbahn ist, die übrigens konsequent mit offenen Türen fährt.
In anderer Richtung liegen Ecken, die für das Sofia im Aufbruch stehen, hier zeigt sich die Stadt als eine extrem boomende Stadt. In der Str. Tsar Shishman haben einige Kaffees und Bars aufgemacht bzw. sind noch dabei. Der Vitosha Boulevard ist schon sehr weit, aber offensichtlich noch nicht da, wo er mal hinwill. Breit und mit einer gewissen Pracht ist er bereits gesegnet, insbesondere wegen der Restaurants und Geschäfte, aber noch hat er ein leichtes Schmuddelflair, ist noch nicht fertig und komplett gestylt, was ihn halt interessant macht. Der Pirotska-Boulevard ist dagegen klein und beschaulich und dementsprechend noch natürlicher und urwüchsiger. Hier versuchen die Restaurants noch nicht, sich irgendeinem Style hinzugeben. Hier sind Servicekräfte unterwegs, die den Gast ausschließlich in Bulgarisch anreden. Hier sind Speisekarten nicht in einem internationalen Kauderwelsch verfasst. Hier sind Restaurantklos noch nicht halbe Tanzsäle, clean und steril, sondern beschränkt aufs Wesentliche … Wer es kennt liebt es dafür.
Und dann sind da ja noch die Stadien. Auch hier hat man sich mit den Unzulänglichkeiten arrangiert. Das Vassil-Levski-Stadion, das Nationalstadion, in welchem kein Spiel war, hat noch diesen klassischen Charme mit Flutlichtmasten und so. Nicht ganz neu, aber eben schön.
Das Ovcha-Kupel-Stadion von 1930 hat sicher auch schon bessere Tage gesehen, so ist z.B. eine Kurve mittlerweile gesperrt und an der einen oder anderen Stelle fehlt ein Sitz oder ein wenig Putz, aber auch hier gefällt es mir. Und das nicht nur wegen des herrlichen Ausblicks auf das Vitoscha-Gebirge. Krass ist der Weg bis zum Stadion, der kilometerlang eine schnurgerade vierspurige Straße entlang geht, vor allem gesäumt von Wohnsiedlungen, der sogenannten Platte. Schon ein bisschen eintönig.
Dafür ist das Spiel zw. Slavia und Beroe Stara Zagora (0:2), welches ja meinen Besuch abrunden soll, zum Glück kein Langweiler und das Stadionumfeld sowieso nicht, sodass auch der letzte Abend hier in Sofia sehr gelungen ist.