Endlich mal wieder in die Oper. Die Spielstätten dieser Welt und die Künstler traf und trifft Corona mehr als hart, für viele kommt es einem Berufsverbot gleich. Viele – gerade Kleinkunsttreibende – stehen vor dem Aus. Kunst hat eben keine Lobby.
Während irgendwelche schmierlappigen Fußballfunktionäre gern mal nahezu unwidersprochen von „gesellschaftlicher Verantwortung des Fußballs“ faseln durften und der schmierlappige Gisdol in Verkennung gesellschaftlicher Realitäten von „Opfern“ sprechen darf, Opfern, die die Fußballer angeblich bringen müssten und jüngst Eberl noch mal die Moralkeule herausholt, kamen und kommen die Opern oder Schauspielhäuser, schon gar nicht die Kleinkunstschaffenden im öffentlichen Diskurs kaum vor. Immerhin, die Häuser öffnen jetzt – zum Herbst – ja langsam wieder, bei anderen Formaten sieht es ja immer noch düster aus.
Die Themen Bundesliga-Restart, Geisterspiele und Stadionbesuche hingegen haben die Politiker so unfassbar häufig und leidenschaftlich beschäftigt; wahrscheinlich fehlte dann einfach die Energie für so was wie Theater oder so.
Die daran hängenden Existenzen – offensichtlich egal.
Es mag ja vielleicht nicht interessant sein zu wissen, was nun am örtlichen Theater gespielt wird, aber wenn die liebgewonnenen kleineren Veranstaltungen wie das Wintertheater auf einmal nicht mehr da wären, wäre die Trauer schon ein bissel größer. Oder wenn etablierte und gute Eventmanager wie Undercover Pleite gehen sollten, weil es keine Events mehr gibt.
Sicher ist es schwierig, beide Seiten miteinander zu vergleichen. Dennoch: wenn man sie einfach für einen kurzen Moment nebeneinander stellt und sich ein paar Zitate aus der Fußballblase dazu holt, wird recht schnell klar, wie weltfremd und eigentlich verabscheuungswürdig dieser ganze Fußballzirkus ist.
Insofern ist es heut Abend am 03.10. ein wahrhaft befreiender Abend am Theater Magdeburg mit der Premiere von Gounods „Rome et Juliette“. Eine französische Oper von 1867. Das ewige Thema, der ewige Stoff, die ewigen Liebenden – unzählige Male auf den Bühnen dieser Welt und passenderweise in der Ballett-Variante von Prokofjew am 05. Oktober 1997 Eröffnungspremiere für das wiedererrichtete Theater Magdeburg (s.u.).
Heute – nahezu auf den Tag genau 23 Jahre später – wieder eine Premiere – und wieder Romeo und Julia.
Und wieder eine eine Neueröffnung, zumindest empfinde ich es so. Denn beginnend mit dem März geht in sämtlichen Häusern nichts mehr, Veranstaltungen werden reihenweise abgesagt, absoluter Stillstand. Der Wiederbeginn scheint zaghaft, aber er orientiert sich an der Realität. Spielpläne gelten nur für zwei Monate, alles unter Vorbehalt, alles orientiert sich am Infektionsgeschehen. Umso mehr freue ich mich auf Gounod in Magdeburg.
Es wird ein schöner Abend, es wird ein emotionaler Abend, es wird ein denkwürdiger Abend. Leider darf das Haus eben nicht vollbesetzt sein.
Trotzdem genießen wir drei Stunden lang, was wir ein halbes Jahr vermisst haben. Grandiose Julia, grandioser Romeo, grandiose Inszenierung, überragender Abend. Manche Oper garantiert die ganz großen Gefühle – Gounod ist ganz vorn dabei.
Einen Abend später folgt Mozarts „La clemenza di Tito“, ebenfalls sehr berührend und hervorragend inszeniert, aber bei einer Hilsdorf-Inszenierung habe ich nichts anderes erwartet. Geadelt wird die Inszenierung durch Nicks Regiehospitanz:-).
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Ein wenig zur Geschichte dieses hübschen Theaters:
- 1907 als Centraltheater eröffnet, zunächst als Varietétheater, später als Operettenbühne.
- Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Wiederaufbau 1948-50.
- Wiedereröffnung unter dem Namen Maxim-Gorki-Theater am 21. Dezember 1950 mit Beethovens „Fidelio“.
- 1981 wird der Zuschauerraum renoviert, fortan bietet er 905 Zuschauern Platz.
- Am 20. Mai 1990 zerstört ein Brand nahezu den gesamten Bühnenraum.
- Für sieben Jahre ist die Zeit der Ersatzspielstätten.
- In dieser Zeit wird das Theater im Prinzip neu erreichtet, das Architekturbüro Isandro, Stricker & Partner aus München spricht von „architektonischer Revitalisierung“.
- Festliche Wiedereröffnung als Theater der Landeshauptstadt am 4. Oktober 1997, das Theater hat nun 688 Plätze.
- Und wie geschrieben beginnt die Geschichte des Theaters mit einer Premiere des Prokofjew-Balletts „Romeo und Julia“ am 5. Oktober.
- Am 11. Oktober folgt „Die Dreigroschenoper“, am 12. Oktober folgen „Die Meistersinger von Nürnberg“.
Die Bilder zur Geschichte sind aus: 1907-1997 eine Dokumentation anlässlich der Wiedereröffnung am 4. Oktober 1997. Hrsg.: Theater der Landeshauptstadt Magdeburg. o.O., o.J.