Budapest hatten wir schon lange auf dem Plan. Anfang Januar soll dieser Plan dann seiner Ausführung ein gewaltiges Stück näher kommen, denn beim Blättern in der „nb“ fällt mein Blick auf ein nahezu unschlagbares Angebot: Budapest für vier Tage und 119 Euro. Henning, Andreas und ich erzielen schnell Einigkeit.
Die Eintracht macht uns die Entscheidung auch nicht so schwer, nach dem peinlichen Zweitligajahr führte Trainer Uwe Reinders die Mannschaft zwar zum Derbysieg am 29.10.2003 aber viel mehr war von der Saison nicht zu erwarten. Mittelmäßiger Fußball, mittelmäßige Leidenschaft und mittelmäßige Motivation bei den Spielern und daraus resultierend auch bei uns… Also steigen wir Donnerstag morgens um 5.00 in den komfortablen Reisbus, in welchem uns dann Wolfgang I und Wolfgang II begrüßen. Schnell wird klar, daß wir den Altersdurchschnitt der Reisegruppe ganz erheblich senken und schnell wird auch klar, daß die Wolfgangs mit enervierenden Kommentaren die lange Fahrt begleiten wollen. Wir passen nicht so ganz in diese Reisegruppe. Wie auch immer: Ich beschließe, mich diesem Schicksal in Vorfreude auf Budapest zu ergeben, Andreas ringt diesem Schauspiel erheiternde Seiten ab und Henning regt sich ein ums andere Mal auf und hat bald die Umsitzenden auf seiner Seite – leider ohne Wirkung auf die Wolfgangs. Das Szenario schreit nach einer Veränderung und die Möglichkeit wird uns bei einer längeren Rast irgendwo in Tschechien gewährt. Unter den teils doch recht neidischen Blicken vor allem der männlichen Mitreisenden schrauben wir uns in Rekordzeit vier Halbe rein, um daraufhin den Rest der Fahrt mehr oder weniger gut schlafen zu können. Zumindest eine gewisse Zeit bleiben uns die Kommentare von den Wolfgangs erspart!
In Budapest werden wir in das „Hotel Budapest“ einquartiert, ein Rundbau mit unübersehbarem sozialistischem Restcharme, das ca. 15 min Fußweg von der Burg entfernt ist. Perfekt. Ebenso perfekt sind die 10 min Fußweg zu unserer Stammkneipe für die nächsten drei Abende in Budapest. Der „Amsteldam Pup“ ist eine urige Kneipe, die uns nicht nur aufgrund der Entfernung zum Hotel auf Anhieb gefällt.
In Anbetracht der Kürze der Zeit steht am nächsten Tag ein Hammer-Touristik-Tag auf dem Programm. Von Anfang an absentieren wir uns von der übrigen Reisegruppe, weil wir uns erstens Budapest zu Fuß erschließen wollen und zweitens für den nächsten Tag ohnehin den Fußball ins Auge gefasst haben. Aber es geht erst einmal los mit der Fischerbastei nebst ausgedehnter Burganlage, den Blick auf das Parlamentsgebäude und die Elisabethbrücke (Kettenbrücke). Diese ist nach dem Burgbergabstieg unser nächstes Ziel. Nachdem wir sie von Löwen bewacht sehen und damit als absolut uneinnehmbar einstufen, können wir uns beruhigt der herausgeputzten Einkaufsmeile Vaci ut. und den legendären Markthallen zuwenden. Später folgt das Parlamentsgebäude, das Königreich England läßt massiv grüßen.
Nach dem ganzen Menschenauflauf zieht es uns danach etwas nach außerhalb des Zentrums. Das legendäre Nepstadion, mittlerweile Stadion Puskás Ferenc ist unser erstes Fußball-touristisches Ziel. Ein in die Jahre gekommener Prachtbau mit der 50er-Jahre-üblichen Laufbahn und sanft ansteigenden Rängen, was solchen Stadien immer wieder die Bezeichnung „Ostblockschüssel“ einbringt. Bei unserer intensiven Umrundung sind diverse Einzelheiten, die direkt und indirekt auf 1954 verweisen und wenige Einzelheiten, die in die Zukunft verweisen, zu erkunden. Die Heldenstraße; die Bausubstanz; die Stahlnetze, welche das Herabfallen von brüchigem Gesteinsmaterial verhindern sollen; Flutlichter und weitgehende Unüberdachung atmen die Aura längst vergangener legendärer Tage des Ungarischen Fußballs. Der Verweis auf die Moderne mit einem Denkmal für alle vergangenen, aktuellen und zukünftigen Nationalspieler oder die modern gestaltete Haupttribüne kommt dagegen sehr zart daher. Wahrscheinlich sind die Tage dieses Stadions gezählt. Schade.
Nach diesem Ausritt in die (Fußball)Historie – nie war die Niederlage von 1954 nur Fußballhistorie, es war ein Politikum höchsten Ranges, vielleicht sogar ein Beschleuniger hin zum Aufstand 1956 – bleiben wir weiter historisch mit dem Bahnhof Nygati pu und der Andrássy út, einer Prachtstraße, die uns auf direktem Wege zum Hósök ter (Heldenplatz) bringt, wo wir den pathetisch versteinerten Helden Ungarischer Geschichte näherkommen. Nach einem kurzen Rundgang durch das Stadtwäldchen zieht es uns nach gut 15 km Fußmarsch wohlverdient in unsere „Stammkneipe“.
Das Vormittagsprogramm des nächsten Tages sieht das weniger sehenswerte, weil ziemlich heruntergekommene jüdische Viertel vor, den Heldenfriedhof mit Gräbern Ungarischer Größen und die gewaltige Stephansbasilika vor. Nachmittags zieht es uns ins wenig mondäne Vorstadtviertel Ujipest, denn schließlich war ein ausdrücklicher Anlaß der Reise der Fußball. Vasas Budapest, aktuell in der zweiten Liga, spielt vor 1.000 Zuschauern ein Stadtderby, ist gnadenlos überlegen, bekommt aber den Ball nicht ins Tor und so kommt es wie so oft im Fußball: der Gast hat eine Chance in der 89. Min, die nutzt er und das war’s und damit können alle Reporter von ’Spielverlauf auf den Kopf gestellt’ sprechen. So einfach ist Fußball. Trotz oder gerade wegen des maroden Charmes gefällt mir das Stadion Illovsky Rudolf ausnehmend gut: lange Sitzbänke – mit solchen bin ich ja aufgewachsen -, viele Stehplätze, viel abblätternde Farbe; kurz: ein Ground mit spürbarer Historie; Europapokalluft hat hier auch schon mal geweht.
Das wirklich beachtliche U-Bahn-Netz spuckt uns im Anschluß direkt vor dem Stadion Üllöi út. aus. Nach einer Weile können wir die uns nächste Menschentraube als ein Knäuel ausmachen, welches völlig ungeordnet an einem winzigen Kassenfenster um Karten ansteht. Heldenmütig stürzt Andreas sich dazwischen um die Karten zu besorgen und siehe da, nach wohl 20 min hat Andreas die Tickets in der Hand und wir begeben uns ins Innere, um in den nächsten 90 min von dem Langweiler Ferencvaros – Zalaegerszegi TE FC unterhalten zu werden. Geht natürlich 0:0 aus, unterhaltsamer war das erste Spiel. Das Stadion ist ein entsprechend der UEFA-Normen modernisierter sog. All-Seater; nicht aufregend, aber auch nicht häßlich. Auch hier liegt Vasas bzw. Illovsky in meiner Gunst vorn.
Nach dem Spiel geht’s mit der Straßenbahn über den „Amsteldam Pup“ zurück, nicht ohne einen Zwischenstopp an der Margarethenbrücke für das Ablichten eines nächtlichen Budapest-Panoramas.
Am nächsten Morgen trifft man dann den Rest der Gesellschaft wieder – „Ach, die Jungs sind wieder da“ -, von der wir uns ja die letzten zwei Tage so erfolgreich abgesetzt haben. Vor der Abfahrt fragt uns der ein oder andere nach unserem Programm, was wir natürlich breit grinsend gern erzählen, schließlich haben wir mit Budapest und dem Fußball sehr viel Spaß gehabt und können uns ohne große Phantasie ausmalen, wie der Ausflug mit den Wolfgangs zum Donauknie war. Der Blick der männlichen Mitreisenden scheint uns recht zu geben.
Mit der daraus resultierenden Erkenntnis, wieder mal alles richtig gemacht zu haben, vor allem aber mit einem Kopf voller neuer Bilder läßt sich die Rückfahrt recht leicht absitzen.